Das Mysterium der Zeit
zog sich ein goldenes Medaillon vom Hals. Dann zeigte sie zwei Ohrringe, reichte sie Fortunata, damit sie diese untersuchte, und sagte: »Dank meines Mannes, keine hat bessere!«
»Das will ich meinen«, sagte Habinnas. »Du weißt nur zu gut, wie ich habe bluten müssen, um diese albernen Bohnen aus Glas kaufen zu können! Wenn ich eine Tochter hätte, ich würde ihr die Ohrläppchen abschneiden. Ohne die Frauen wäre der ganze Kram nichts wert. Geld für sie ausgeben ist wie gegen den Wind pissen.«
Die beiden in dieser Weise angegriffenen Frauen lachten bei sich, und da sie schon betrunken waren, küssten sie sich auf den Mund, worauf die eine sich ihrer mütterlichen Sorgfalt rühmte und die andere sich über die Untreue und Gleichgültigkeit ihres Mannes beklagte. Während sie so umarmt auf dem Triklinium lagen, stand Habinnas heimlich auf, packte Fortunata an den Füßen und zog daran, sodass sie die Beine ausstrecken musste.
»Oh, ah!«, schrie Fortunata, während die Tunika ihr über die Oberschenkel rutschte.
»Herrlich! Findet Ihr nicht auch, Signor Secretarius?«, fragte Naudé.
»Ein Meisterwerk!«, echote Guyetus, ohne meine Antwort abzuwarten.
»Ein Genie, unser Petronius«, bestätigte Schoppe.
Du und Malagigi blicktet recht bestürzt drein.
»Vergebt mir«, hub ich schüchtern an, »doch mir, der ich nicht zur erlauchten Schar der Doktoren gehöre, ist es vermutlich nicht gegeben, die Bedeutung dieser Entdeckung voll und ganz zu würdigen.«
Guyetus wurde ungeduldig:
»Signor Secretarius, muss man Euch denn wirklich an das erinnern, was alle wissen? Der große Historiker Tacitus, dessen Werke von Poggio |399| Bracciolini entdeckt wurden, hat uns die außergewöhnliche Persönlichkeit des Titus Petronius Arbiter beschrieben, und erzählt mir nicht, dass Ihr das nicht wisst.«
NOTIZ
Darin erklärt wird, wer Petronius war, und was sein berühmtes Satyricon enthält.
Wie Tacitus berichtet, sagte Guyetus, war Petronius ein Mann von ungewöhnlich erlesenem Geschmack, kultivierte geistreichen Witz und Raffinesse und lebte herrschaftlich: Des Nachts dem Vergnügen ergeben, ging er bei Tagesanbruch schlafen. Während andere sich durch tausenderlei Mühen Ruhm zu erwerben trachteten, war Petronius durch Nichtstun angesehen und berühmt geworden. Er war nämlich kein einfacher Genussmensch, der sein Geld verschwendete, sondern ein Meister der Eleganz: seine Freunde, Nachtschwärmer wie er, ließen sich von ihrer Eitelkeit beherrschen, er hielt sie im Zaum. Um bemerkt zu werden, trugen die anderen die teuersten Juwelen zur Schau, erschienen in unbequemen, extravaganten Kleidern auf Festen oder schrien sich in Menschenansammlungen heiser, um böswilligen Tratsch zu verbreiten, doch niemand würdigte sie auch nur eines Blicks.
Petronius hingegen war zwar schwerreich, doch statt jeden Abend ein neues Gewand zu tragen, begnügte er sich damit, den Faltenwurf eines alten Stücks zu verändern, sodass es wie neu aussah. Jeden Abend erfand er zwei, drei geistreiche Wortspiele, und er kaufte keine neuen Ringe, sondern steckte sich die alten an einen anderen Finger. Sofort machte die Schar der Nachtschwärmer es ihm nach, und am nächsten Tag sprach ganz Rom von seinen genialen Einfällen.
Er verachtete alle und alles, erwarb sich aber überall Freundschaften und Zuneigung. Niemand wusste zu sagen, ob er wirklich ein Genießer war oder als höchste Probe seiner Verstellungskünste nur so scheinen wollte.
In politische Ämter berufen, veränderte er sich zu aller Überraschung in das Gegenteil seiner alten Persönlichkeit: Als Prokonsul in |400| das aufständische Bithynien geschickt, bewies er Tatkraft und Härte, verborgene Eigenschaften, die in Rom keiner an ihm kannte, und erhielt das Lob seiner Vorgesetzten.
Zurück in der Heimat nahm er sein früheres Leben wieder auf, und sein Ruf als großer Komödiant gelangte sogar bis zu Nero. Der Kaiser bewunderte den ausgesuchten Geschmack, den Petronius bei den kleinsten Einzelheiten bewies, und nachdem er Laster und Ausschweifungen mit ihm erlebt hatte, machte er ihn zum
arbiter elegantiarum
, zum Richter des guten Geschmacks. Doch der Präfekt Tigellinus, berüchtigter Kommandant der Prätorianer, der Leibgarde des Kaisers, der neidisch auf Petronius’ Erfolg bei Hof war und fürchtete, Neros Gunst zu verlieren, intrigierte gegen ihn. Kurz zuvor war eine Verschwörung gegen Nero entdeckt worden, zu deren Rädelsführern der Patrizier Gaius Calpurnius Piso
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