Das Mysterium der Zeit
und deine Brüder kastrieren ließ? Dir zu sagen, dass du auf Gott vertrauen solltest, weil Gott Vater ist, war nicht besonders verlockend für dich, dachte ich sarkastisch.
Du wandtest dich wieder an Guyetus. »Ihr nanntet den Namen eines Porphyrios von Alexandria. War es das Alexandria in Ägypten?«
»Ja, er war dort Schüler von Plotin, dann blieb er, um dessen Philosophie zu lehren«, antwortete dir Guyetus. »Aus Alexandria stammte auch Hypatia, die die Philosophie des Porphyrios sehr verehrte, und Theon von Alexandria, der Vater Hypatias, ein Mathematiker und Astronom, wie seine Tochter. Sie wurde im Auftrag des Bischofs Kyrill von Alexandria von besessenen christlichen Mönchen gevierteilt. Alexandria in Ägypten, das 331 vor Christus von Alexander dem Großen gegründet wurde, war das erste wissenschaftliche Zentrum mit der |436| ersten Universität im modernen Sinne, wo man die Welt allein durch die menschliche Vernunft erklären wollte. Dort wirkten auch Philon von Alexandria und der große Mathematiker Euklid. In Alexandria erlebten die griechische Philosophie und Kultur eine neue Blütezeit, mein Junge.«
»Es ist also die Stadt der berühmten Bibliothek, des Museions, des Serapeions und des großen Leuchtturms – alles Bauwerke, von denen keine Spur geblieben ist«, stelltest du mit tonloser Stimme fest, an das Gespräch vor den Ruinen des Hauses von Nummern Drei erinnernd, als Naudé und Hardouin durch einen herabfallenden Balken verletzt worden waren.
Mit einer wohlerzogenen Entschuldigung verließest du Guyetus und setztest dich an die Spitze der Gruppe.
Da ich nun nicht mehr vom Wortwechsel der Gelehrten abgelenkt wurde, kehrte ich in Gedanken zu den vielen offenen Fragen zurück, die Bouchards Notiz aufwarf. Man hatte sie mir zur Aufbewahrung gegeben, um Konflikte zu vermeiden. In welcher Beziehung hatten Bouchard und Galileo gestanden? Wer war E.D.? Wer die zweimal erwähnte
impia cohors
? Wer jene, »denen man sich nicht widersetzen kann«? Wohin führten ihn seine sorgfältigen Recherchen und Untersuchungen der Lügen antiker Historiker? Gar zu etwas Verbotenem? Und warum hatten die drei Bärtigen sich gänzlich uninteressiert an dem Papier gezeigt, als ich es im Auftrag der Gruppe eingesteckt hatte? Doch da lenkte ein unvorhergesehenes Ereignis die Aufmerksamkeit aller auf sich.
DISKURS LXI
Darin eine Spur von Mustafa gefunden wird.
»Dieses Vieh! Idiot! Ich bring ihn um, diesen Esel«, brüllte der Statthalter von Ali Ferrarese wie ein wütender Löwe. Schoppe musste von seinem Buckel herunterrutschen.
Direkt vor uns hing der weiße Schal, den Mustafa um den Hals zu tragen pflegte, deutlich sichtbar an einem großen, einsam stehenden Baum. Ein unverkennbares Zeichen, dass er in dieser dicht bewachsenen |437| Gegend vorbeigekommen war. Wie es schien, hatte Kemals Untergebener den Pfad verlassen, um sich dem Steilhang über dem Meer zu nähern.
»Was hat er angestellt? Ist er geflohen?«, fragtest du.
»Von wegen geflohen! Er treibt sich gerne herum, wie es ihm beliebt, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich habe ihn schon öfter verprügelt, aber er will nicht kapieren, dass er auch an Land meinem Befehl untersteht. Einmal habe ich ihn mit den Füßen am Hauptmast aufhängen lassen, zwei geschlagene Stunden hat er da gebaumelt, aber das hat ihm nicht gereicht. Jetzt ist das Maß voll, er braucht eine anständige Lektion ein für alle Mal.«
Kemal stürzte sich mit katzenhafter Wendigkeit ins Gebüsch, entschlossen, seinen Untergebenen aufzuspüren.
»He, warte mal!«, rief Guyetus aus. »Und wir? Gehen wir weiter oder warten wir?«
Zu spät: der Korsar war verschwunden. Die Gruppe blieb überrumpelt stehen, niemand wusste, was zu tun war.
»Wegen der Launen dieser beiden Piraten können wir nun wirklich nicht hier ausharren«, rief Naudé.
»Ich verstehe«, sagte ich widerstrebend und setzte zur Verfolgung Kemals an. »Wartet hier auf mich, wenn ich ihn nicht sofort finde, komme ich zurück.«
Ich ging los, ohne darauf zu achten, wo ich meine Füße hinsetzte. Mit den plumpen Bewegungen des Stadtmenschen, der ländliche Wanderungen nicht gewohnt ist, folgte ich einzig dem Befehl, Kemal rechtzeitig zu finden.
Einige Minuten lang ging ich mit gesenktem Kopf voran, Stacheln und Dornen jeder Art zerkratzten mir das Gesicht, doch gleich einem scharfen Beil versuchten meine Augen, sich einen Weg durch das dichte Gestrüpp zu bahnen. Dann blickte ich hinter mich: Die Gruppe hatte mich
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