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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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erinnern, dann bläst er sich nicht mehr so auf. Und Schoppe selbst hat mit seinen grässlichen Büchern vielen Lebenden das Leben zur Hölle gemacht, während ich bloß einen Toten belästige und das höchstens für ein paar Minuten!«
    Es folgten weitere Schaufelhiebe, Tritte, Faustschläge und sogar wütendes Ausspucken. »Das verdammte Ding geht nicht auf«, fluchte der Fürst der französischen Bibliophilen.
    Schließlich sagte er, die Schaufel wie das Schwert Durandarte zückend, mit erstickter Stimme: »Cicero und Sueton haben recht:
Si violandum est ius, regnandi causa
! Wenn man das Recht übertreten muss, sei es nur, um zu herrschen.«
    Doch endlich gelang es ihm, den Sargdeckel aufzubrechen. Als das Schloss nachgab, stieß Naudé einen heiseren Freudenschrei aus.
    »Sieg! Los, helft mir!«
    Unwillkürlich wandten wir die Augen von dem grausigen Anblick ab. Obgleich vom düsteren Schweißtuch des Todes umhüllt, das seinen schwarzen Abdruck auf jedem Antlitz hinterlässt, war der Leichnam noch gut erhalten. Vor uns lag ein alter Mann mit langen Haaren und strengen Zügen, gekleidet in ein langes Gewand wie eine Kutte. In den ebenfalls gut konservierten Händen hielt er einen Rosenkranz. An seiner Seite, es war kaum zu glauben, steckte ein Bündel Papiere. In Anbetracht der noch an den Knochen haftenden Kleider war es durchaus möglich, dass er erst vor kurzem verschieden war, wie Gabriel Naudé bei seinem Versuch, die Buchstaben des Grabsteins zu |460| entziffern, vermutet hatte. Das mögliche Todesdatum fiel tatsächlich mit Philos Ptetès Aufenthalt auf Gorgona zusammen.
    Uns allen fuhr ein Schauder der Abscheu und Begeisterung gleichzeitig über den Rücken. In diesem unvergesslichen, erschütternden Moment sah Naudé sich als Sieger. Er kniete zwischen dem Sarg und der Wand des Grabes nieder.
    »Philos Ptetès«, sagte er seufzend, eine Hand an die Brust gelegt, mit geschlossenen Augen. »So also erscheinst du mir! Erst auf deiner letzten Bettstatt offenbarst du mir deine Züge, die so viel edler sind als die Züge all jener, die dich in diesen Monaten vergeblich suchten. Nun, ich hätte dich gerne lebend angetroffen, mein Freund, aber das Schicksal hat es anders gewollt.
Mors omnia solvit
, der Tod löst alles auf, wie der weise Cicero sagte.«
    »Das war eher Justinian«, präzisierte ich.
    »Ach so. Und jetzt vergib mir, guter Mönch, aber nachdem wir dich so lange gesucht haben, müssen wir unverzüglich ans Werk gehen! Dir verdanken wir den sensationellsten Handschriftenfund aller Zeiten! Wir beide werden in die Geschichte eingehen, Signor Secretarius, und ich werde dem Kardinal berichten, wie wertvoll Eure Hilfe war.«
    Du und ich wechselten einen bedauernden Blick. Der seichte Naudé, promoviert als Paranimf, Schreiberling der Mächtigen, der die Lehren anderer wiederaufwärmte, König der Mittelmäßigen, schien gewonnen zu haben.
    Er stand auf, faltete die Hände und sprach pathetisch:
    »Jetzt verneigt euch, unsichtbare Geister der Geschichte, der Philologie, der Archäologie, der Paläographie und der Numismatik: In dieser dunklen Nekropole leuchte das Licht des Wissens! Mit diesem Sarg und seinen armseligen Knochen zerreiße der Schleier des Vergessens, öffne sich die Mauer des Tempels, und die barbarische Bestie der Dummheit knie vor ihm nieder!«
    Dann streckte er die Hand nach dem Bündel Papiere aus und zog es mit den Fingerspitzen aus dem Sarg, als fürchtete er, sich mit einer tödlichen Krankheit zu infizieren.
    »Igitt, wie ekelhaft … Nehmt, Signor Secretarius.« Er drückte mir das makabre Fundstück in die Hand.
    Ich öffnete das Schnürband, und eine schmutzige Wolke schwarzen Staubs stieg auf. In diesem Moment ereignete sich Erstaunliches.

|461| DISKURS LXVIII
    Darin man in ein unerklärliches Geheimnis eingeweiht wird.
    »Seht nur!«, riefst du entsetzt aus und packtest mich am Arm.
    Das Gesicht und die Hände des Toten, die wir noch unversehrt vorgefunden hatten, waren innerhalb weniger Minuten zu rieselndem Staub zerfallen wie Sand, der, in einen Trichter geworfen, so schnell darin verschwindet wie Wasser.
    Und wir erlebten das Unglaubliche.
    Jetzt war das Antlitz von Philos Ptetès nur mehr ein Totenschädel, Hände und Arme waren bis auf die Knochen entblößt, die Haare an den Schläfen nur noch ein dunkler Flaum, der sie kaum bedeckte, die Wangen knochenbleich, und die Lippen zu dem skurrilen Grinsen aller Totenschädel zurückgebildet.
    »Oh nein! Was habe ich

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