Das Mysterium der Zeit
Philos Ptetès zweifeltest, derer sich Naudé hingegen so sicher war. Zum Glück bemerkte der Bibliothekar nichts.
»Genau. Oder wir finden unseren lieben Mönch noch vorher. Wenn das Glück uns hold ist«, sagte er in einem absichtlich geheimnisvollen, vielsagenden Ton.
»Was wolltet ihr mit diesen Schaufeln und dem Eimer?«
»Nun vertraut mir doch! Warum äußert Ihr nicht lieber Bewunderung, da ich das Glück hatte, diese kostbaren Werkzeuge in der baufälligen Hütte der drei Bärtigen zu finden? Wahrscheinlich werde ich bald die Hilfe williger Mitarbeiter brauchen!«
Es war nicht ratsam aufzubegehren, nur allzu gut erinnerten wir uns, dass Naudé uns durch Erpressung gezwungen hatte, ihn auf die (gescheiterte) Suche nach der Stadt zu begleiten: Entweder wir kooperierten oder wir würden bei Mazarin angeschwärzt.
»Seht Euch das an. Ich frage mich, warum ich der Einzige bin, der es bemerkt hat.«
Er hatte uns vor einen Grabstein geführt, von dem ein Stück abgebrochen und andere fehlende Teile grob durch Mörtel und Reste von Ziegelsteinen ersetzt waren. Im allerletzten Schimmer des Tageslichts konnte man nur mit großer Anstrengung die wenigen Buchstaben erkennen, die auf dem Stein noch sichtbar waren:
...SS ...
FIL ...
......
.....GON
....TUUS ....
...XXIV
»Ja, und?«, fragtest du.
»Wie? Das fragt Ihr mich, Signorino Atto? Seht Ihr denn nicht«, fragte er, die Stimme senkend und um sich blickend, als belauschte uns ein halbes Dutzend Schoppes im Dunkeln, »dass es der Grabstein unseres Mönchs sein könnte?«
Und er erklärte, wie man den Text rekonstruieren könne:
|458| MONACHUS PIISSIMUS PATER
FILOS
PTETES
HIC GORGONAE
MORTUUS EST
A.D.MDCXXXXIV
»So in etwa, ein Wort mehr, eins weniger. Sie werden das ›Ph‹ von Philos mit ›F‹ verwechselt haben, das ist dasselbe. Dann lautet der Text: ›Der fromme Mönch Philos Ptetès ist hier auf Gorgona im Jahr des Herrn 1644 verstorben.‹ Was sagt ihr dazu?«
Ohne unsere Antwort abzuwarten, reichte er mir eine Schaufel, dir den Eimer und begann zu graben.
»Wenn er an dem Schlangenbiss gestorben ist, wurde er hier begraben. Und wahrscheinlich haben sie ihm alle oder einen Teil seiner Papiere ins Grab gelegt. An einem so gottverlassenen Ort wie diesem wird er niemanden gehabt haben, dem er sie anvertrauen konnte. Uns bietet sich eine einzigartige Gelegenheit.«
»Ihr wollt doch nicht etwa das Grab schänden!«
»Große Worte, mein Freund. Ich will nur sichergehen, dass wir uns nicht vergeblich bemühen, etwas an der Oberfläche zu suchen, was sich, wie dieser Angeber Kemal sagen würde, auf der anderen Seite des Grabens befindet. Also los jetzt! Vergesst nicht, dass dieser arme Bibliothekar bei Seiner Eminenz ein gutes Wort für Euch einlegen kann. Also lohnt es sich, ihm zu helfen, meint Ihr nicht?«
»Gewiss, Monsire Naudé«, sagtest du mit kaum verhehltem Grimm. Ich schwieg, ich hatte mich schon damit abgefunden, graben zu müssen.
Nach einer halben Stunde waren wir zu Tode erschöpft und hatten Blasen an den Händen. Feste Erde aufzugraben ist eine kräftezehrende Tätigkeit, etwas für Leute, die Schwerstarbeit gewohnt sind.
Schaufel für Schaufel wuchs das Häufchen Erde neben dem Grab zu einem kleinen Hügel heran.
»Da ist er!«, rief Naudé aus, als ein dumpfes Geräusch anzeigte, dass wir endlich am Sarg angekommen waren. »Jetzt müssen wir durchhalten, es fehlt nicht mehr viel.«
Ergeben schaufelten wir weiter, bis der Sarg zum Vorschein kam.
»Monsire Naudé, ich bitte Euch …«
|459| »Signor Secretarius, Ihr wollt mich doch nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen?«, rief er keuchend vor Anstrengung und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, die trotz des Dezemberabends vor Schweiß troff wie ein mit Wasser vollgesogener Schwamm.
»Aber man müsste das Holz aufbrechen, und das ist Sünde.«
»Ruhe! Erzählt mir nicht, dass Ihr auch an diese Albernheiten von der Seele, der Sünde und so weiter glaubt! Ihr enttäuscht mich, Signor Secretarius, Ihr seid nicht auf der Höhe der Zeit.« Naudé blickte sich noch einmal um, dann hieb er mit der Schaufel auf das Schloss ein.
»Gütiger Himmel, hoffentlich hören die anderen uns nicht«, sagtest du. »Könnt Ihr Euch vorstellen, was Schoppe tun würde, wenn er sähe, dass wir ein Grab aufbrechen?«
»Schoppes Vater schnitt den Toten die Füße ab, damit sie in den Sarg passten. Wenn er es wagt, herzukommen und uns zu stören, werde ich ihn daran
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