Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
Vom Netzwerk:
ganzen stattlichen Körperfülle vor uns aufbaute.
    »Und nun?«, fragte der Bibliothekar mit hauchdünner Stimme.
    »Schaut ihm nicht in die Augen, tut so, als hättet Ihr es nicht gesehen. Bewegt Euch langsam.«
    »Und in welcher Richtung, bitte?«, greinte Naudé.
    Da das Wildschwein uns den Weg versperrte, war die Frage nicht ganz unberechtigt.
    »Geht ganz ruhig nach rechts, ohne es anzuschauen.«
    Während ihr beide zögernd gehorchtet, versuchte ich, langsam das Gewehr anzusetzen, darauf vertrauend, dass das Wildschwein von euren Bewegungen abgelenkt werde. Hätte ich es doch nie getan! Mit einem dröhnenden Grunzen, stierhaft und nasal zugleich, ging das Tier zum Angriff über.
    Ich stürzte mich auf dich und warf dich zu Boden, um dich mit meinem |517| Körper vor der unmittelbar bevorstehenden Attacke zu schützen. Als Naudé sich ebenfalls fallenließ, das Gesicht in den Händen verbergend, hörten wir schon mehrere Schüsse hinter unserem Rücken und sahen das Tier direkt neben uns zusammenbrechen.
    »Das liebe Tierchen scheint mit Treibjagden nicht ganz unvertraut gewesen zu sein«, sagte eine unbekannte Stimme. »Es hat die Bedrohung durch Euer Gewehr sofort erkannt, Messere.«
    Der Sprecher stand in lässiger Haltung an einen Baum gelehnt, in den Händen hielt er eine Muskete. Er war in einen alten Mantel mit einer kleinen, zerschlissenen Halskrause gekleidet. Sein Gesicht war hohlwangig und schlecht rasiert, die fast blauvioletten Augen unterstrichen ein gewinnendes, vielsagendes Lächeln, das ihm eine Ausstrahlung gutmütiger, geduldiger Überlegenheit verlieh, wie sie einem Menschen ansteht, der sich stets mit kleinen Kniffen durch die Engpässe des Lebens zu helfen weiß.
    Wir erhoben uns vom Boden, und nachdem wir innerlich Abschied von dem Wildschwein genommen hatten, stellten wir uns vor, doch der Mensch erwiderte unseren Gruß mit keinem Wort. Er begnügte sich damit, uns anzulächeln. Eine Weile musterten wir uns gegenseitig.
    »Wem verdanken wir unser Leben?«, fragte Naudé höflich, da der Mann seinen Namen nicht genannt hatte.
    »Dem Schöpfer, was für eine Frage!«, antwortete er und machte Anstalten, weiterzugehen.
    »Ich meinte, mit wem zu sprechen wir die Ehre haben«, versuchte sich der Bibliothekar nach dieser unerwarteten Antwort zu erklären, während wir uns alle unwillkürlich hinter unserem Gesprächspartner in Marsch setzten.
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite!«, gab dieser zurück, unentwegt lächelnd. »Seid Ihr zu Besuch auf der Insel? Habt Ihr vielleicht Verwandte hier?«
    »Nein, Verwandte nicht, aber wir suchen jemanden«, antwortete ich und versuchte Naudés Blick aufzufangen, um zu verstehen, ob er wollte, dass ich mehr sagte.
    »Dann habt ihr gewiss die drei Verrückten getroffen?«, fragte er überraschend, zu Füßen eines Felsens anhaltend, auf dem ein großer Haufen Lumpen lag.
    »In der Tat …«, gab Naudé zu.
    |518| »Das dachte ich mir. Jeder Besucher, der auf die Insel kommt, stößt früher oder später auf diese Tagediebe«, sagte er und hieb auf den Haufen Lumpen ein.
    Das Gewirr aus alten Lappen zuckte, dann bläht es sich auf. Nach und nach kamen ein Arm, dann eine Hand, ein Kopf und schließlich eine ganze menschliche Gestalt zum Vorschein.
    »Was gibt’s?«, nuschelte das Wesen, das wie eine Parodie der schaumgeborenen Venus aus diesen Lumpen erstand.
    Es war ein rundliches Männchen, ebenfalls mit ungepflegtem Bart, fettiger Haut, groben, aufgedunsenen Händen und einem Kopf, der ohne die Spur eines Halses auf dem Körper saß. Die Lumpen, die ihn bedeckten, waren tatsächlich seine lächerliche, armselige Bekleidung, zusammengeflickt aus zahlreichen schwarzen Lappen jeder Art.
    »Sie haben die drei Irren getroffen«, sagte der Erste.
    »Die Ärmsten«, bemerkte sein feister Kumpan unwillig.
    »Überdies haben wir sie plötzlich aus den Augen verloren. Wisst Ihr zufällig, wohin die drei … nun, wohin Eure drei Freunde gegangen sind?«, fragte ich.
    »Ihr meint Sieben, Zwölf und Neunzehn.«
    »Bitte?«
    »So heißen sie. Sie haben sich diese Namen ausgesucht«, sagte der Mensch mit den blauen Augen. »Natürlich habt auch Ihr begriffen, warum«, sagte er mit listiger Miene.
    »Weil sie vor der Gerichtsbarkeit fliehen?«, vermutete ich.
    »Genau«, bestätigte er grinsend. »Alles, was sie sagen, ist blühende Phantasie. Nichts davon ist wahr. Sie tun so, als wären sie ein bisschen verrückt, um ihre wahre Identität zu verheimlichen und den

Weitere Kostenlose Bücher