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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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berichtet, ein babylonischer Priester unter Ptolemaios II. gewesen sein, also gut tausend Jahre vor Synkellos. |535| In seinen
Babiloniaca
, »babylonischen Geschichten«, erzählte er von den Ursprüngen menschlichen Wissens: Im Anfang soll es ein Wesen mit Fischleib und menschlicher Stimme gegeben haben, den Propheten-Fisch Oannes, der aus dem Ozean aufgetaucht war und die Menschen Künste und Wissenschaften lehrte. Seit der Zeit war nichts anderes entdeckt oder erfunden worden, obwohl viele tausend Jahre vergingen, so viele, dass man sie in
sars
, Perioden von 3600 Jahren,
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(600 Jahre) und
soeses
(60 Jahre) messen musste.
    Manetho, berichtet Synkellos, war ein Zeitgenosse von Berossos und ein ägyptischer Priester, der vielleicht den Kulten des Serapis diente. In seinen
Aegyptiaca
(»ägyptischen Geschichten«) lieferte er eine sehr wertvolle Liste ägyptischer Herrscher über gut dreißig Dynastien hinweg. Dabei ging es um schwindelerregend weit entfernte Zeitalter. Die ägyptischen Herrscher, so Manetho, seien nicht nur schon vor der Sintflut auf den Thron gestiegen, sondern sogar noch vor dem Jahr, auf das die Rabbiner und Bibelexegeten die Schöpfung der Welt datieren, also vor sechstausend Jahren. Manetho widerlegt damit eklatant die Schrift, die Juden, Christen und Moslems heilig ist. Darum also, überlegt Bouchard, haben sich die Humanisten auf ihn gestürzt.
    Bouchard vertraut seinen Freunden an, dass er viele neue Ideen habe, sie aber noch nicht bekanntgeben wolle, weil sie zu brisant seien, um veröffentlicht zu werden. Er will abwarten, bis er genügend Beweise für seine Behauptungen gesammelt hat, und das braucht Zeit.
    Auf der Bühne, deren Vorhang sich vor Bouchards Augen öffnete, tanzten die Jahrhunderte, ja Jahrtausende vorüber, und er geriet ins Grübeln. Die Arbeit, die er anfangs übernommen hatte, um einen Auftrag der Barberini zu erfüllen, war keine rein philologische Arbeit mehr, sondern auch historisch, ja mehr noch. Es ging um Fragen, die einem das Blut in Wallung bringen konnten: In welchem Jahr leben wir wirklich? Wann begann die Welt? Bouchard machte seine ersten Schritte auf dem unbekannten Terrain der Absoluten Zeit und wusste nicht, welche Folgen es haben konnte, wenn er einen Fehltritt beging. Synkellos Text war nämlich noch nie übersetzt und als Ganzes veröffentlicht worden. Er würde der Erste sein, und von seiner Arbeit konnten Generationen zukünftiger Historiker abhängen. Und wenn seine Arbeit Anklang fand, wenn er die Wahrheit über diese uralten Berichte ein für alle Mal festlegte, würde die Zeit vor Christi Geburt eines Tages vielleicht auf andere Weise gemessen werden.
    |536| Bouchard verbringt Tag und Nacht mit seinem Synkellos. Wie einen heimlichen Geliebten nimmt er ihn mit ins Bett und greift am Morgen nach ihm, noch bevor er das Fenster seines Zimmerchens im Palazzo della Cancelleria öffnet. Die Quellen, die Synkellos benutzte, bestätigen sich alle gegenseitig, eine anzuzweifeln würde bedeuten, zehn andere zum Einsturz zu bringen. »Nimmt man nur einen Stein aus dem Haus heraus, stürzt es ein«, hatte er in seinen Aufzeichnungen geschrieben.

    All dies hatte Bouchard in einem intensiven Briefwechsel an Guyetus geschrieben und ihm seine Zweifel und Mühen, seine Herzens- und Verstandesqualen anvertraut. Aus Paris kamen beruhigende Worte des alten Philologen, der meinte, es gebe keinerlei Grund, an den antiken Historikern zu zweifeln. Genau darum geht es ja, hatte Bouchard geantwortet, wir Philologen ziehen niemals etwas in Zweifel, wenn es nicht wirklich nötig ist, aber wir sollten misstrauischer sein, meinst du nicht? Man komme nicht umhin, feststellen zu müssen, dass es in den von Synkellos zitierten uralten Chroniken zu viele Unstimmigkeiten gibt.
    Was ist von dem geheimnisvollen ägyptischen Priester Manetho zu halten, der dreihundert Jahre vor Christus lebte? Man weiß fast nichts über ihn und sein Leben, doch in seiner Chronologie des alten Ägypten, gut fünfzig Jahrhunderte Geschichte, liest man Dinge, die einem die Sprache verschlagen. Dabei geht aus alten Lexika nicht einmal klar hervor, ob es zwei Manethos oder nur einen gab und welcher der Richtige ist: Manetho von Mendes oder Manetho von Sebennytos?
    Überdies enthalten die Fragmente von Manethos – natürlich verlorenen – Werken, deren Inhalt Synkellos weitergibt, recht absonderliche Informationen. So sollen unter der Regierung des Neferkare I. die Wasser des Nils mit Honig vermischt

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