Das Mysterium der Zeit
Werk.«
»Der Mönch weiß aber noch nicht«, überlegte ich, »dass Ihr seine Karte in Händen habt, nicht Schoppe.«
»Und ich sage Euch außerdem«, fuhr er in weit schärferem Ton fort, |553| »Poggios Erbschaft, die der Mönch den Pariser Philologen brieflich angeboten hat, kann nur von Bouchard selbst stammen. Aus diesem Grund habe ich Euch nicht verraten, Signor Secretarius.«
»Verraten? Bei wem?«, heuchelte ich Verständnislosigkeit.
»Bei den anderen. Noch weiß niemand, dass auch Ihr Bouchard kanntet. So seid Ihr nicht unter den Verdächtigen, im Gegensatz zu mir.«
»Moment! Zu sagen, dass ich ihn kannte, ist übertrieben. Wie ich Euch erzählte, habe ich ihn einmal getroffen, und das scheint mir kein ausreichender Grund, mich zu verdächtigen, mit seinem Tod zu tun zu haben.«
»Wie auch immer, auch ich habe nichts mit dem Tod meines Freundes zu tun. Allerdings taucht mein Name in seinen irren Aufzeichnungen auf. Philos Ptetès wusste also schon, wer ich bin, bevor er mir begegnete, und er steckt auch hinter den Funden des
Satyricon
von Petronius und der Papiere von Bouchard. Darum hat er gestern trotz meiner Versuche keine Anspielung auf Poggio machen wollen.«
»Könnte es sein, dass er uns seit dem Schiffbruch auf dieser Insel hinterherspioniert?«, fragtest du erstaunt.
»Ich sehe keine andere Erklärung für unsere dauernden Funde von Bouchards Notizen und Poggios Papieren. Von wegen Zauberschloss des Magiers Atlante, wie der arme Guyetus dachte! Das hätten wir schon früher kapieren können. Wir sind alle dumm gewesen«, schloss er in einem Ton, der allmählich von Trostlosigkeit in Verzweiflung überging.
»Ein höchst geschickter Schauspieler, dieser Mönch, das muss man ihm lassen«, bemerktest du. »Doch warum hätte er sich so seltsam verhalten sollen, statt uns seine Anwesenheit auf der Insel sofort kundzutun?«
»Vielleicht hat er, als er uns nach dem Schiffbruch belauschte, schon bald meinen Namen gehört«, vermutete Naudé, »und da er mich für schuldig am Tod Bouchards hält, hat er beschlossen, euch durch seine Aufzeichnungen von der Geschichte zu informieren und mich bei euch verdächtig zu machen. Vielleicht hat er deshalb dieses B für Bouchard hier hinterlassen.«
»Aber die kostbaren Seiten des Petronius auf diese Weise über der Insel zu verstreuen, nur um Katz und Maus zu spielen, erscheint mir wirklich übertrieben«, wandtest du ein.
|554| »Das kann ich mir selbst nicht erklären«, gestand Naudé und fügte nach kurzer Pause mit einer von Seelenpein beschwerten Stimme hinzu: »Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie qualvoll es für mich ist, beobachtet, verdächtigt, sogar verurteilt zu werden. Die Verleumdung, meine Freunde, ist eine unsterbliche Göttin, hat sie sich einmal an dich geheftet, gibt es keine Rettung mehr. Es wird immer jemanden geben, der sich erinnert und sie wieder hervorholt, während die Wahrheit, eine sehr viel komplexere Materie, leicht vergessen wird. Wie Sallust in seinem
Catilinia
sagte: ›Alle anderen Verbrechen kann man verfolgen, nachdem sie begangen wurden; sorgst du bei diesem hingegen nicht dafür, dass es gar nicht erst geschieht, wirst du, nachdem es begangen wurde, vergeblich vor Gericht Gerechtigkeit fordern!‹«
Wir nickten beide zustimmend bei diesen Worten des Bibliothekars, obwohl ich mich fragte, ob dieser Satz wirklich von Sallust stammte, oder ob Naudé nicht wieder einmal falsch zitiert hatte.
Die Wahrheit ist immer kompliziert, da hatte Naudé recht. Doch mit dieser weisen Erkenntnis, überlegte ich lächelnd, machte Naudé sich ein Prinzip zu eigen, das er selbst bekämpft und verlacht hatte, als er es aus Schoppes Mund hörte: Einfache Erklärungen sind weit verbreitet, aber sie sind oft zu einfach, um wahr sein zu können, hatte der Verehrungswürdige erklärt, als unser Grüppchen auf dem Weg zur Piana dei Morti über den Prozess gegen Galileo diskutiert und gestritten hatte.
»Glaubt Ihr, es sei mir egal, wie man sich hier auf Gorgona den Mund über mich zerrissen hat?«, fragte Naudé.
Etwas störte mich: Während er redete, konnte ich ihm nicht direkt ins Gesicht sehen.
»Ja, es ist wahr«, hub er wieder an, »in der letzten Phase seines Lebens hat der arme Bouchard mich mehrmals um Rat gefragt. Aber das bedeutet nichts und sagt nichts über sein Ende aus. Während der letzten Jahre vor dem Überfall kam er immer dann zu mir, wenn ihn diese seltsamen Zweifel über die Wahrheit der Dinge befallen hatten,
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