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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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das von der schwarzen Tinte einer flüchtenden Sepia getrübt wird. Die Stadt ohne Namen, an der wir so oft gezweifelt hatten, wurde uns unverhofft zur Ruhe und Schutz spendenden Stiefmutter.
    Doch der warme Schlaf, der mich so rasch umhüllt hatte, wurde leider allzu bald von verdächtigen Geräuschen jäh unterbrochen.
    »Hör auf, lass mich in Ruhe, sonst beiß ich ihn dir diesmal ab!«
    »Na, na, was für Manieren! Schon gut, schon gut, bei allen Heiligen.«
    Es war die Stimme einer zornglühenden Barbara, gefolgt von Naudés eindeutig betrunkenem Stammeln.
    Ich hob ein wenig den Kopf und sah, wie Mazarins Bibliothekar sich auf allen vieren vom Lager der venezianischen Sängerin zurückzog, während diese sich energisch auf die Seite drehte, um weiterzuschlafen. Naudés nächtlicher Überfall war abgewehrt worden, doch jetzt wandte der Verfluchte sich dir zu. Er weckte dich und flüsterte dir etwas ins Ohr. Es war eine längere Unterredung, die ich nicht verstehen konnte. Dann erhobt ihr beide euch und gingt zur Tür.
    Ich traute meinen Augen nicht. Du gabst dich den Gelüsten von Gabriel Naudé hin, einem würdelosen Päderasten, während deine Barbara zwei Schritte von dir entfernt schlief?
    Flink wie eine Eidechse sprang ich auf. Als ich auf die Straße trat, wart ihr schon weit genug entfernt, um euch von weitem unbemerkt folgen zu können.
    Der Weg dauerte wenige Minuten. Bald fandet ihr ein zweistöckiges Haus, das für eure Zwecke geeignet schien. Und ich fragte mich erneut: |610| Ist es möglich, dass mein Atto seine Jugend jemandem wie Naudé überlässt? Hat Mazarins Bibliothekar womöglich wieder gedroht, ihn beim Kardinal anzuschwärzen?
    Ein Stoß von dir genügte, und die Tür des Hauses öffnete sich.
    Ihr setztet euch in den Eingang, ich konnte euch durch das Fenster beobachten, ohne gesehen zu werden.
    Ihr reichtet euch das Fässchen, doch während du es nur kurz an die Lippen hieltest, nahm Naudé tiefe Schlucke. Er legte seinen Arm auf deine Schulter und versuchte mehrmals, dich zu küssen, doch du hindertest ihn, indem du ihm immer dann das Fässchen zurückgabst, das er bereitwillig ansetzte. Du hattest viel Erfahrung damit, die Hände deiner sogenannten Gönner im Zaum zu halten.

DISKURS XCIII
    Darin zum letzten Mal von der Tetrade und ihren geheimen Praktiken gesprochen wird und Naudé seine Jugendsünden beichtet.
    Um Eindruck auf dich zu machen, belehrte Naudé dich über seine brillante Pariser Vergangenheit. Du fragtest ihn nach den gebildeten Kreisen, in denen er verkehrt hatte, den Versammlungen im Hause der Du Puy und schließlich nach den lustigen Trinkgelagen mit seinen Freunden aus jenem so vielbeachteten Grüppchen, der Tetrade.
    Die Frage schien ihn zu überraschen.
    »Die Tetrade! Was die Jugend heutzutage alles weiß oder zu wissen glaubt … Nun, weißt du überhaupt, was eine Tetrade ist?«, fragte er in selbstgefälligem Ton.
    »Nein, Monsire Naudé.«
    »Sie heißt auch Quaternion und gehörte als Zahl zur Heiligen Lehre des Pythagoras. Weißt du wenigstens, wer Pythagoras war?«
    »Ein großer griechischer Mathematiker, Monsire Naudé, ein Weiser, der aus den Zahlen eine Philosophie, ja fast eine Religion gemacht hat«, antwortetest du mit löblicher Geduld.
    »Sehr gut. Aber es war einer aus unserer Tetrade, Diodati, der uns alles erklärt und verraten hat, welche Formel wir aussprechen müssen.«
    »Eine Formel?«
    |611| Nach einem weiteren kräftigen Schluck erklärte Naudé, dass Elia Diodati das Quartett der Tetrade dazu gebracht hatte, eine Art Pakt zu schließen. »Wenn wir auf diese Zahl schwören, werden wir wie Pythagoras sein.« Gegenstand des Schwurs war die Tetrade selbst: jene Zahl, die andere Zahlen enthält. Es war die Vier, aber auch die Zehn, oder vielmehr ihre innere Summe: 1 + 2 + 3 + 4 = 10. Klarer wurde es, wenn man sich die Sache mit Hilfe von übereinandergelegten Punkten vorstellte.
    Der Fußboden des Eingangs zu diesem Haus, über den schon wer weiß wie oft Diebe oder Neugierige geschlichen waren, war mit Erde und Sand bedeckt. Naudé nahm ein paar Steinchen und verteilte sie in dieser Anordnung auf dem Boden:

    »Siehst du, Junge? Dieses Dreieck kann auch wie eine Festung gesehen werden. Jede der drei Seiten wird von vier Pfeilern geschützt, das sind die vier Mitglieder der Gruppe. Aber unendlich viel mehr geheime Kombinationen sind möglich, wenn man die inneren Punkte verbindet.«
    Er pflückte kleine Zweige trockener Kräuter von seinen

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