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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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noch immer schlammverschmierten Schuhen und legte sie zwischen zwei Steine, sodass eine geometrische Figur entstand. Die schwächeren Linien im Inneren zeichnete er mit dem Finger in den Staub:

    |612| Bei den Antiken hieß die Tetrade »Die Heiligen Vier«, fügte er hinzu. Auf sie schworen alle Pythagoreer ihre rituellen Eide (eigenartig, dass der skeptische Naudé diese Dinge so genau wusste).
    »Sie ist Einheit oder Das Eine, die Vier, welche die Zehn enthält, oder auch die Tetrade, welche die Dekade enthält, die Zahl der Vollkommenheit. Außerdem bedeutet sie die ursprüngliche Triade, also das Dreieck, das ihr Form verleiht, welches seinerseits in die göttliche Monade eingebettet ist, die von dem Punkt in seiner Mitte symbolisiert wird.«
    »Diese Reden, die Ihr da führt, scheinen auf magische Praktiken hinzuweisen«, bemerktest du.
    »Halt!«, kreischte Naudé mit dem brüchigen Timbre der Betrunkenen, »ich habe ein ganzes Buch geschrieben, um berühmte Persönlichkeiten zu entlasten, die magischer Praktiken bezichtigt wurden, und mir selbst lasse ich dergleichen Anschuldigungen nicht so leicht anhängen. Die schlimmste, weil lächerlichste Sünde ist es, sich esoterischen Sekten anzuvertrauen, den Lügen von Scharlatanen, den Träumen der Alchimisten und den Rätseln der Magier und Kabbalisten zu glauben!«
    »Aber warum habt Ihr Euch dann bei Euren Treffen mit den pythagoreischen Zahlen beschäftigt?«
    »Bei unseren Treffen? Mein lieber Junge, das ist auch so etwas, was keiner verstanden hat. In Paris und woanders wurde so viel über uns von der Tetrade geschwätzt, dass alle die Wirklichkeit aus den Augen verloren haben. Die Leute lasen die Bücher von Orasius Tuberus, unserem La Mothe Le Vayer, in denen von unseren Gesprächen erzählt wurde, aber mehr wussten sie nicht. Diodati, ich, La Mothe Le Vayer und Gassendi haben keine regelmäßigen Zusammenkünfte abgehalten, es gab nur eine einzige Versammlung. Danach haben wir uns nie mehr zusammen an einen Tisch gesetzt. Die einzige Sitzung war die des Schwurs. Alle glaubten, wir wären ein fester Kreis. Stattdessen gab es zwischen uns nur einen banalen Briefwechsel. Die Tetrade hat es nie gegeben.«

    Ich sah, dass dir vor Staunen der Atem stockte. Wie war das möglich? Und der Mythos aller Pariser Salons von den vier jungen Männern und ihren sagenumwobenen Gelagen? Hattest du nicht selbst in Paris davon gehört? Auch die Berichte, die Naudé persönlich uns gegeben |613| hatte, hätten jeden überzeugt, dass das Grüppchen wenigstens einmal in der Woche zusammenkam. Hatte er nicht selbst gesagt, dass nach dem Ausscheiden Diodatis ein Ersatz gefunden werden musste?
    Armer Atto, dachte ich, das war zu viel. Die Bibliothek von Alexandria? Erfunden. Die Berichte antiker Historiker? Alles Märchen. Und jetzt auch die ganz und gar zeitgenössische Tetrade? Was dir die abgelegene Insel Gorgona zumutete, war wirklich ein Schnellkurs in Metamorphosen der Wirklichkeit, bei dem jeder Mosaikstein der Vergangenheit dazu verurteilt schien, früher oder später zu zerbröckeln.
    Naudé entging deine Verwunderung nicht.
    »Wir leben in Zeiten, wo alles von allen geschluckt wird«, sagte er mit bitterem Sarkasmus, »und ich wette, das wird auch in drei- oder vierhundert Jahren noch so sein, bis zum Ende aller Tage. Es genügt, etwas unendlich oft zu wiederholen, und schon wird es fast wie durch Zauber wahr. Elia Diodati hatte diese geheimnisvolle Kraft: Was er sagte, fand überall Widerhall. Es war, als hätte er unzählige Diener bezahlt, die an jeder Ecke wie Papageien wiederholten, was er sich ausgedacht hatte. Und diese Diener erzählten auch, dass wir Zusammenkünfte pflegten. Aber das war erstunken und erlogen.«
    In Wirklichkeit, erklärte er, trafen sich die vier Freunde nur im Sommer 1628 zu viert, weil ihre Beschäftigungen erst den einen und dann den anderen aus Paris fortführten. Gassendi war im Mai aus der Provence nach Paris gekommen, Diodati, der ihn seit drei Jahren kannte, hatte ihn Naudé und La Mothe Le Vayer vorgestellt. Doch schon im September war Gassendi nach Frankfurt gegangen, am Ende des folgenden Jahres für drei Monate nach Paris zurückgekehrt und hatte sich dann erst wieder 1630 blicken lassen. Anfang 1631 hatte Naudé Paris verlassen, um nach Rom überzusiedeln. Erst 1644, nach Naudés Rückkehr aus Italien, hatte die Tetrade erneut zusammengefunden, doch nur für sehr kurze Zeit, denn Diodati schied aus.
    Der so vielberedete

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