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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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und Geschichte versumpfte in der vom Vater ererbten Mentalität des Glücksritters und Schwindlers, mit der dieser zu Lebzeiten sein Glück gemacht hatte. Die Abfolge menschlicher Begebenheiten, die vor Scaliger wenigstens auf einer noblen mythologischen Vergangenheit geruht hatte, ohne Ansprüche auf Wahrhaftigkeit zu erheben, ist jetzt mit dem Mehltau von Vermutungen bedeckt, die als die wahre Geschichte ausgegeben werden. Seit wann gibt es die Menschheit? Wo beginnt die Geschichte? Die Zeit, die Joseph Justus Scaliger zu messen versprochen hatte, hat sich maßlos ausgedehnt und im Strudel zu vieler Lügen unentwirrbar verwickelt. Blindes Vertrauen ist nötig, um die extrem komplizierten, fast unverständlichen Studien Scaligers über antike Kalender zu akzeptieren. Seine Wissenschaft ist eine weltliche Religion geworden, die geglaubt werden will und die wahre Religion um einen hohen Preis ersetzt.
    Doch kann man an sie glauben, wenn ihr Verkünder ein Betrüger ist, der sich unter falschem Namen vorstellt?

DISKURS XCII
    Darin Gabriel Naudé mit einer Beute wiederkehrt.
    Die Lektüre rief bei jedem von uns sehr unterschiedliche Wirkungen hervor. Kemal war entnervt von dem Gerede über die Zeit, für ihn waren das Hirngespinste müßiggängerischer Nazarener. Naudé und Schoppe waren jeder aus persönlichen Gründen in Hochstimmung. Wir drei (du, Barbello und ich) hatten bemerkt, dass die Aufzeichnungen |608| des armen Bouchard diesmal kein schlechtes Licht auf Mazarins Bibliothekar warfen. Dieser bereitete gerade sein Lager für die Nacht vor, pfiff dabei gutgelaunt und wiederholte einige der soeben gehörten Sätze:
    »Sodomit, wie?«, warf er Schoppe mit listiger Miene an den Kopf. »Scaliger hat dich einen Sodomiten genannt. Ha, das ist wirklich gut! Das fehlte mir noch, oh ja. Warum habe ich das nur nicht früher erfahren?«
    »Na und?«, erwiderte Schoppe säuerlich, während er sich ebenfalls eine Art Schlafnest herrichtete. »Alle wissen, dass dieser Scharlatan mich bei jeder Gelegenheit beleidigte. Aber ich habe meine alte Maddalena, die in Padua auf mich wartet! Ich gehöre nicht zu den Verderbten wie du und Scaliger.«
    »Sodomit, haha!«, trällerte Naudé entzückt. »Hätte ich das bloß vor ein paar Jahren gewusst …«
    Schoppe blieb stocksteif stehen, wie von einer Viper gebissen. Seine Augen wurden zu Schlitzen und er zischte wütend: »Wa-ge es ja nicht, verstanden? Wenn du nur versuchst, so etwas zu denken, schmutziger Päderast, werde ich dich …«, und schon schwenkte er drohend einen seiner Schuhe.
    »Ganz ruhig, alter Esel«, lachte Naudé und entwischte zur Tür, wo Schoppes mit wütender Vehemenz geschleuderter Schuh ihn streifte und mit einem lauten Knall gegen die Wand prallte.
    Wir hörten Mazarins Bibliothekar fröhlich pfeifend über die Dorfstraße davoneilen. Ich wusste, was Naudé suchte: Er hoffte, weitere Botschaften zu finden, um die Karte von Philos Ptetès zu entschlüsseln.
    Als wir uns schon alle hingelegt hatten und ich auf den Schlaf wartete, knarrte die Tür in den Angeln. Gabriel Naudé war zurückgekehrt. Ich spitzte die Ohren in der Erwartung eines erneuten Wortgefechts mit Schoppe. Doch der Verehrungswürdige schlief fest. Naudé trug etwas im Arm und zeigte mir triumphierend seine Beute: ein Fässchen.
    »Keine Spur vom Mönch. Stattdessen habe ich das hier in einem Haus gefunden. Es gibt auch etwas zu essen: Zwieback, Sardinen, Nüsse. Alles im Keller versteckt, von den Eigentümern zurückgelassen. Aber das ist kein Diebstahl! Sie kommen bestimmt nie mehr zurück, um all diese Herrlichkeiten zu holen, das Haus scheint seit Jahren verlassen. Ich habe nur den Likör mitgebracht. Solltet Ihr Hunger |609| haben und die Nahrungsmittel Euch interessieren, kann ich Euch zeigen, wo das Haus liegt.«
    »Bitte, Monsire Naudé …«
    Der Ekel über die widerwärtige Mahlzeit vor wenigen Stunden stand mir noch im Gesicht geschrieben, ebenso wie Naudés fröhliches Geplapper offenbarte, dass er sich das Fässchen schon an den Hals gesetzt hatte, und das nicht wenige Male.
    »Ja, tatsächlich … ich habe auch keinen Appetit«, gestand er, während er das Fässchen in den Händen wog.
    Er bot mir ein wenig von dem ausgezeichneten Likör an, ein Destillat aus Kräutern, das eine angenehme Wärme in meinen Gliedern verbreitete. Dann wünschte er mir gute Nacht und kroch, das Fässchen unter dem Arm, auf sein Lager.
    Binnen kurzem umhüllte mich ein Schlaf, opak wie Meerwasser,

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