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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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bedeckten.
    Aus dem Jenseits brachte Bouchard die Gemeinheiten Schoppes ans Licht, nachdem Schoppe bisher als Einziger von den Aufzeichnungen des vor fünf Jahren getöteten jungen Mannes verschont geblieben war.
    Gabriel setzte seinen Vortrag genüsslich fort. Jetzt sprach Bouchard wieder über sich:

    hat Scaligers wichtige Werke über die Chronologie gründlich studiert: Der
Thesaurus Temporum
und die
Emendatio Temporum
sind gewaltig, äußerst kompliziert und in höchsten Graden langweilig, ja wegen ihres Gewichts und sperrigen Umfangs sogar kaum in der Hand zu halten. Hier nun das Ergebnis: In seiner Allgemeinen Chronologie begeht Scaliger den schlimmsten Betrug der ganzen Menschheitsgeschichte, denn er versucht, die Geschichte selbst zu ändern.

    Bei diesen Worten kam Schoppe mit staunenswerter Geschwindigkeit wieder zu Kräften. Jetzt bedachte er Naudé mit Blicken, die vor Befriedigung glühten, und er schien zu sagen: Nur so weiter, Gabriel.

    Um das Rätsel der Zeit zu lösen, musste Scaliger die Zählweise des wichtigsten Kalenders der Antike entschlüsseln, des Kalenders im alten Griechenland. Eine schier unlösbare Denkaufgabe, über der die Gelehrten |606| sich seit Jahrhunderten die Köpfe zerbrachen, denn niemand verstand, in welche und wie viele Monate das im antiken Athen gebräuchliche Jahr aufgeteilt war. Aristoteles hatte in seinen Schriften die Monate angegeben, in denen bestimmte Tiere wanderten, sich begatteten oder ihre Kleinen warfen. Scheinbar sehr nützliche Informationen, doch was half es, dass dem Philosophen zufolge dieser Fisch oder jener Schmetterling sich im Monat Boedromion fortpflanzten, wenn niemand wusste, welchem heutigen Monat er entsprach?
    Mit einem gewitzten, aber betrügerischen Kniff packte Scaliger den Stier bei den Hörnern. Da die Griechen die Jahre bekanntlich nach den Reihen der Olympischen Spiele berechneten, doch keine vollständige Reihe überliefert ist, erfand Scaliger-Bordone sie kurzerhand selbst. Er nahm Informationen aus zwei kurz zuvor erschienenen Werken (Fragmente des griechischen Historikers Phlegon), vermischte sie mit anderen Informationen, über die er bereits verfügte, und ließ eine Liste der Olympiaden drucken, von der er behauptete, es handele sich um ein griechisches Original. Alle fielen darauf herein, Fachleute und Anfänger. Wenn es darum ging, Tage, Monate oder Jahre hinzuzuzählen oder abzuziehen, um genaue Daten zu erhalten, machte Scaliger Dutzende von Rechenfehlern wie ein Kind in den ersten Schuljahren. Er benutzte zweifelhafte historische Quellen (vor allem die berüchtigten von Berossos und Manetho), obwohl die Regeln der Philologie – und des gesunden Menschenverstandes – das Gegenteil geraten hätten. Viele weitere Quellen verzerrte, verfälschte und missverstand er, er zog Schlüsse ohne ausreichende oder ganz ohne Beweise, er plünderte heimlich Werke seiner Vorgänger, ohne sie zu zitieren, wie das
De Epochis
eines unbekannten Professors aus Jena, Paul Crusius, der starb, bevor er sein Buch gedruckt und später von Scaliger plagiiert sehen konnte.
    Verheerend war Scaligers Versuch, das alte ägyptische Jahr zu rekonstruieren. Beim arabischen Jahr machte er eine Unmenge begrifflicher und Druckfehler. Das schlimmste Chaos richtete er beim babylonischen Kalender an. Er verfälschte die antiken Historiker oder ließ Aussagen weg, die ihm nicht ins Konzept passten.
    Er sagte, er habe einen Riecher für Fälschungen. Die größten Fälscher waren seiner Meinung nach die Juden, weil ihnen die Lüge im Blut stecke, und er gab ihnen die Schuld an allem und jedem. Auch hatte er eine Methode erfunden, um antike Texte zu korrigieren, die angeblich von schlechten Kopisten verdorben worden waren, nämlich die Korrektur |607| »per Konjektur«: erschien ein Wort oder ein Satz falsch, ersetzte er es durch ein anderes, das mehr Sinn ergab. Kurzum: Scaliger erfand. So sind einige von ihm korrigierte Texte fast nicht wiederzuerkennen. Etwa Manilius, ein wenig bekannter lateinischer Autor, der ein wirklich merkwürdiges Werk geschrieben hat, die
Astronomicon libri
, ein Kompendium über Astrologie und Astronomie in Versform. Merkwürdig ist es, weil kein Autor des antiken Rom es je erwähnt. Erst 1417 tauchte es auf, entdeckt von dem berühmten Poggio Bracciolini. Immer wieder er. Schließlich verschmolzen der Herr der Zeit Scaliger und der Betrüger Scaliger zu einer einzigen Person: letzterem. Sein ungeheures Werk einer Rekonstruktion von Zeit

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