Das Mysterium der Zeit
Straßen, nicht das Flüstern des Windes, wie ich mir einbildete.
Schließlich hast du die Papiere entdeckt. Als du mich davon informiert und gleichzeitig über meine Blässe ob dieser Überraschung gespottet hast, wolltest du mir ein Geständnis entlocken. Du hast geahnt, dass ich schon von der verborgenen Falltür wusste, die zu dem geheimen Kabuff mit dem Schatz des unwirklichen Philos Ptetès führte. Als du mich auffordertest, einen Schritt weiterzugehen und mich dabei am Arm festhieltest, hast du belustigt gelacht und beobachtet, wie mir der kalte Schweiß ausbrach bei dem Gedanken, dass ich mich freiwillig fallenlassen sollte! Du konntest nicht sicher sein, dass ich gestehen würde, um einen bösen Sturz zu vermeiden. Darum hast du mich fest am Arm gehalten. Du hast dich verstellt, und zwar meisterhaft.
Auf alle erdenklichen Weisen hast du versucht, mir begreiflich zu machen, dass du mein Geheimnis entdeckt hattest und auf Erklärungen wartetest, doch nie bist du wirklich aus der Deckung gegangen. Als wir vor dem Zettel mit dem letzten Buchstaben für die Karte der Insel standen, hast du mich nicht gebeten, über die Buchstaben nachzudenken und ihren Sinn zu enträtseln. Stattdessen hast du das Stück Papier vor meinen Augen achtlos auf den Boden fallenlassen und mich mit einem vielsagenden Blick durchbohrt. Denn du hattest erkannt, dass der Urheber der geheimnisvollen Inselkarte nicht der slawonische Mönch gewesen war, sondern meine Wenigkeit. Und du erwartetest Klärungen.
Als du den Namen von Francesco Bracciolini in Bouchards Aufzeichnungen lasest, wurde dein Groll gegen mich noch stärker. Doch die sich überstürzenden Ereignisse und mein eisernes Schweigen bewogen dich, mir noch Zeit zu geben. Immerhin wolltest du von mir lernen und nicht nur etwas erfahren. Also hast du dir jahrelang nichts anmerken lassen, während du auf ein Geständnis wartetest, welches jetzt, mit diesem Schreiben erfolgt.
Gehen wir der Reihe nach vor. Aus dem irren Gerede des angeblichen ehemaligen Kommissars von Gorgona hattest du schon geschlossen, dass der Mensch, dem du, Naudé und ich in Begleitung des Kommissars im Wald begegnet waren, nicht Philos Ptetès sein konnte.
|722| Philos Ptetès hat es nie gegeben.
Indessen hat es einen Mönch gegeben, wie du weißt, der sich 1644, zur Zeit unserer ersten Reise nach Paris, mit uns auf einer Galeere eingeschifft hatte. Du hattest mit eigenen Augen gesehen, dass der Mönch auf Gorgona zurückgelassen wurde, weil eine Schlange ihn gebissen hatte. Dieser unbekannte Ordensbruder und sein Unglück gaben mir die Idee ein. Der Name kam dann von selbst: Philos Ptetès, oder Philoktetes, der Held der berühmten Tragödie des Sophokles, einer der Anführer der griechischen Streitkräfte im Trojanischen Krieg, der auf dem Weg nach Troja von einer Schlange gebissen und auf einer Insel zurückgelassen wurde. Wie peinlich! Schoppe, Guyetus, Naudé: keiner unserer sich so groß dünkenden Literaten hat die Namensähnlichkeit je bemerkt.
Und ebenso war diesen großen Ingenien nicht gleich aufgefallen, dass das irre Geschwätz der Verrückten von Gorgona berühmten literarischen Werken entnommen war. Es hat mich viel Mühe gekostet, damit sie endlich ein paar Zitate aus den phantasievollen Werken von Campanella, Thomas Morus und Rabelais erkannten.
Ganz und gar nicht schwierig war es für mich, im Hinblick auf unseren Aufenthalt auf der Insel einige Erkundungsreisen nach Gorgona zu unternehmen – immerhin bin ich Secretarius eines Marinekapitäns des Ordens Santo Stefano! Ich nutzte die unvermeidliche Pause für das Wasserschöpfen, um mich von den Galeeren des Ordens auf der Insel absetzen zu lassen, nachdem ich dafür gesorgt hatte, dass man mich später zurückbringen würde.
Ich sehe dich geradezu vor mir, Atto: Statt dich für Einzelheiten über das
Wie
zu interessieren, drängst du nach einem vollen Geständnis über das
Warum
. Doch ich weiß, dass du auch hier schon eine bestimmte Idee hegst: Francesco Bracciolini.
Als wir den Namen von Gabriel Naudé in Bouchards Aufzeichnungen erwähnt fanden und Naudé versuchte, Malagigi durch die Nachricht, auch dieser habe seinen ermordeten Freund gekannt, in ein schlechtes Licht zu rücken, brachte Malagigi wiederum dich ins Spiel, weil du ein Landsmann von Francesco Bracciolini bist, dem Secretarius der Barberini.
Du erschrakst, worauf ich dir die Wahrheit ins Ohr flüsterte, die ich |723| in eine ad hoc erfundene Geschichte
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