Das Mysterium der Zeit
Synkellos-Ausgabe aufgegeben hatte. In Wahrheit hatte Bouchard sie nicht mehr rechtzeitig beenden können, bevor er starb. Darauf verschwand die Arbeit.
Naudé brachte sogar den Mut auf, offen über die Beziehung zwischen |727| Elia Diodati und Galileo zu sprechen. Er konnte noch zwischen Recht und Unrecht, Mut und Feigheit unterscheiden. Der kolossale Rausch in jener Nacht auf Gorgona ließ ihn zusammenbrechen, er gestand dir, zu welchem Sumpf sein Leben verkommen war und legte unfreiwillig sein innerstes Wesen bloß: eine schwache, keine böse Seele. Es zeigte sich, dass er noch naiver war als der Jüngling, welcher du damals warst: Keinen Augenblick lang hast du meine lächerliche Schatzkarte ernstgenommen, aber Naudé ist in die Falle gegangen wie ein Schuljunge.
Bouchard hat recht: wie leichtgläubig sind diese Literaten! Wenn der Bibliothekar Seiner Eminenz Kardinal Mazarins, des Regierenden Ministers von Frankreich, sich von einer so plumpen Fälschung wie meiner Inselkarte, dem erfundenen Führer zu einem unechten Schatz, hat ködern lassen, kann man sich gut vorstellen, welch leichtes Spiel Betrüger vom Kaliber eines Diassorinos und Poggio Bracciolini und viele andere ihrer Kumpane hatten, deren Namen wir nie erfahren werden.
Sogar der lächerliche Köder, den ich in der Karte für Naudé ausgelegt hatte, lief ins Leere: Ihre Überschrift
Mysterium Thesauri
spielte auf Scaligers
Thesaurus Temporum
, sein Werk über die Chronologie an. Mein Einfall sollte den armen Bibliothekar noch mehr beunruhigen. Er würde, so stellte ich mir vor, diesen Titel für eine vage bedrohliche Anspielung des Philos Ptetès halten, für einen gelehrten Verweis auf die durch Scaliger und den falschen Synkellos pervertierte Zeit, für die Bouchard umgebracht worden war. Und schon sah ich Naudé vor mir, wie er sich, nach Luft ringend, selbst in den Abgrund der Schuld stürzte, eine finstere Verkörperung der biblischen Sentenz
fugit impius nemine persequente
, »er flieht, der Frevler, obwohl niemand ihn verfolgt«. Aber ihm ist nicht das kleinste Licht aufgegangen.
Vor der Abfahrt war mir mein ganzer Plan einfach, kristallklar und unfehlbar erschienen. Aber dann tauchten unzählige Schwierigkeiten auf. Auf der falschen Karte von Philos Ptetès, die ich für Naudé vorbereitet hatte, waren nur das unbewohnte Städtchen und der Hafen von Gorgona zu sehen, denn dort hatte ich Bouchards und Poggios Papiere versteckt, und dort sollte sich meine ganze gut einstudierte Komödie abspielen. Den Rest der Insel kannte ich gar nicht, ich hatte ihn nur einmal auf der Landkarte gesehen, die ich mir im Archiv der Marine des Ordens besorgt hatte.
|728| Stattdessen strandeten wir leider schiffbrüchig auf der entgegengesetzten Seite der Insel, und ich musste rasch eine zweite falsche Karte improvisieren, jene ziemlich dürftige, die auch du gesehen hast. Zum Glück hatte ich die Karte der Marine dabei.
Zuletzt waren wir fast an alle Orte gelangt, die ich auf Philos Ptetès angeblicher Schatzkarte eingezeichnet hatte, und das ist kein Zufall, denn Gorgona ist klein, also konnten wir gar nicht umhin, auf die wenigen herausragenden Stellen zu stoßen, die es auf der Insel gibt, einschließlich der von den Irren, den einzigen Bewohnern der Insel, genutzten Orte.
DISKURS CVIII
Abschlusssaldo.
Als wir von unserer zweiten Reise nach Paris zurückgekehrt waren, bin ich nach Rom gefahren. Ich habe jemanden besucht, dem ich seit jener Nacht, in der ich Naudés Geständnis gehört hatte, ein paar Fragen stellen wollte. In der Hundstagehitze eines Augustmittags betrat ich eine schöne Villa auf dem Monte Mario, und dort, im gnädigen Schatten einer Weinlaube, zu deren Füßen sich ganz Rom erstreckte, traf ich einen alten, einsamen, in einen Weidensessel versunkenen Mann: Gian Vittorio Rossi, genannt der Eritreer. Die giftigste Feder der Schöpfung, wie Naudé ihn genannt hatte.
Er war es, der in Köln die
Pinakothek
veröffentlicht hatte, eine Galerie pikanter Porträts über verstorbene Persönlichkeiten des römischen Hofes, unter denen sich neben dem Arzt Trouiller, eines Mitglieds der
Deniaisez,
auch Bouchard befinden musste. Freilich hatten Naudé und Cassiano den Nuntius von Köln, Monsignore Fabio Chigi, dazu bewegen können, das Werk ohne das Kapitel über Bouchard erscheinen zu lassen. Wie du dich erinnern wirst, hatte die Sünde des Eritreers in den Augen der
Deniaisez
darin bestanden, Bouchards schmutzige Tagebücher unerwähnt zu
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