Das Mysterium der Zeit
kleidete, damit du den Widersinn dieser Anklagen beweisen konntest. Du hast diese kleine Geschichte meisterhaft genutzt und alles lachte. Niemand argwöhnte auch nur einen Augenblick lang, dass er soeben zum ersten und letzten Mal die Wahrheit oder wenigstens eine knappe Zusammenfassung vernommen hatte.
Ein Jahr bevor wir uns einschifften, war Francesco Bracciolini, der Literat aus Pistoia und Secretarius der Barberini, gestorben. Wie Naudé spitzfindig schloss, war Francesco kein Nachfahre des berühmten Poggio. Doch keinem unserer Gelehrten fiel ein, dass er durchaus für einen Nachkommen hätte
gehalten werden können
. Und genau so war es. Irrtümlich waren die Papiere Poggio Bracciolinis ihm als Erbe zugefallen, freilich nur jene angeblich unveröffentlichten Manuskripte, die sich am Ende unseres Abenteuers als Fälschungen Poggios herausgestellt haben: literarische Schmierzettel, als antike Handschriften aufgemacht, die teuer verkauft werden sollten.
Der gute Francesco Bracciolini, der, wie du weißt, ein Freund Bouchards war und ihm zu Ehren sogar einen Grabgesang komponiert hatte, übergab ihm diese Papiere, da Bouchard als Philologe ein Fachmann auf dem Gebiet war.
Den Rest haben wir in dem verlassenen Städtchen aus Bouchards Aufzeichnungen erfahren. Es fehlt nur noch der Epilog: Nach dem Attentat gab der Ärmste Poggios Papiere an Francesco zurück und vertraute ihm auch seine geheimsten, brisantesten Notizen an. Tatsächlich hatte, wie Naudé erzählte, Cassiano dal Pozzo in Bouchards Papieren nichts von dem gefunden, wonach er suchte. Darum haben Cassiano und die anderen Starken Geister die erotischen Tagebücher Bouchards erfunden! Sollten dann eines Tages die Papiere des Verstorbenen ans Licht kommen, die das Werk der Fälscher aufdeckten, würde niemand ihnen mehr Glauben schenken, da der Ruf ihres Verfassers ruiniert war.
Wie du schon gefolgert haben wirst, erhielt also nicht Philos Ptetès, der nie existiert hat, die Papiere Poggios und Bouchards, sondern meine Wenigkeit, und zwar vom mittlerweile alten und kranken Francesco Bracciolini in Pistoia.
Er sprach mit dem furchtbaren Ernst des Menschen, der schon für das himmlische Jenseits bereit ist, das die
Deniaisez
so sehr verachten. |724| »Ich war feige«, sagte er zu mir, »ich hatte nicht den Mut, so schwerwiegende Dinge zu veröffentlichen. Ich wusste, dass mich die Veröffentlichung großen Gefahren aussetzen würde. Oder dass man alles vertuschen würde. Kümmere du dich jetzt darum, finde jemanden, der die Ideen Bouchards der Welt zugänglich machen kann!«
So, nun habe ich es dir gesagt. Du wirst mir entgegnen: Spuck auch den Rest aus! Wer oder was hat dich dazu gezwungen, diese Geschichte zu inszenieren und so viele Menschen in Lebensgefahr zu bringen?
Ich antworte dir: Es gibt keinen Rest, den ich ausspucken könnte. Gut, es ist genau so, wie du denkst: ich bin verrückt.
Wenn du meinst, Monate mit den traurigen Worten Bouchards zu verbringen, in seinen Schriften zu blättern, all sein Nachforschen, Verstehen, Erkennen des Verrats und seinen langsamen Tod gemeinsam mit ihm zu erleben, sei nicht Grund genug, um sein Vorhaben ausführen, sein Andenken schützen zu wollen, gut, dann bin ich verrückt.
Es geht mir nicht um Rechtfertigungen oder Würdigungen meiner Handlungsweise. Ich werde ehrlich sein, oder besser, noch ehrlicher als zuvor: Nicht ich habe das Ganze organisiert (in dem Fall müsste man mich wirklich für einen Geisteskranken halten), sondern der Zufall oder vielleicht Gott. Denn nichts ist so gelaufen wie es geplant war, angefangen mit dem Überfall der Korsaren.
Mich hat nur eine Frage bewegt: Wem kann ich die Papiere von Bouchard und Poggio anvertrauen? Explosives Zeug, das die
Deniaisez
unbedingt in die Finger bekommen wollen, um es endlich zu vernichten. Wem kann ich trauen? Der arme junge Mann hat
post mortem
niemanden außer mir gehabt. Sein ganzes Leben, all seine Ideale, waren mir in die Hände gefallen. Ich war seine letzte postume Hoffnung: Ausgerechnet ich, einer, den er nie zu Gesicht bekommen hatte, dessen Stimme, dessen Gesichtszüge und Worte er nicht kannte. Denn ich muss dir gestehen, ich habe Bouchard nie kennengelernt. Ich weiß nicht, wie er aussah, und noch weniger wusste ich, dass er einen Kopisten suchte. Letzteres war eine kleine Lüge, die ich benutzt habe, um den armen Naudé in Aufruhr zu versetzen, der nicht nur Schoppes, sondern auch mein Lieblingsopfer war, wie ich dir weiter unten
Weitere Kostenlose Bücher