Das Mysterium der Zeit
sein Schicksal.
Zu unserer großen Erleichterung fanden wir auch Rosina Martini wieder, der während der ganzen Zeit zum Glück kein Haar gekrümmt worden war.
Und so spielten sich in diesen Stunden bei den Untiefen der Meloria seltsame Szenen der Wiederbegegnung ab, bei denen Tote und Lebende aufeinandertrafen, doch die Lebenden (du, Barbara und ich) |715| weit eher an Tote gemahnten als die vermeintlich Toten (Schoppe, Naudé, Pasqualini und Hardouin), die von den Korsaren entführt, aber in Sicherheit gebracht und ernährt worden waren.
Du trugst dein kleines Fernrohr am Gürtel. Ein Barbareske kam auf dich zu, sah dich fassungslos an, entriss es dir brutal und ging ohne ein Wort davon. Zuerst warst du wie erstarrt vor Empörung, dann klärte sich alles. Du hattest das Werkzeug der Seefahrer nach dem Verschwinden von Sieben, Zwölf und Neunzehn gefunden. Es war die unfreiwillige Unterschrift der Barbaren unter die Entführung der drei Bärtigen.
»Die drei Bärtigen, wo sind sie? Sieben, Zwölf und Neunzehn!«, hörten wir Naudé kreischen.
Auch Mazarins Bibliothekar hatte sie gesehen und wollte jetzt um jeden Preis der Tasche habhaft werden, darin sich das Gastmahl des Trimalchio verbarg. Er wusste ja nichts von den letzten enttäuschenden Erkenntnissen Schoppes, er ahnte nicht, was wir in den Handschriften von Poggio Bracciolini entdeckt hatten.
Die drei Bärtigen waren da, aber die Tasche blieb verschwunden.
»Vergiss es«, brummte der Verehrungswürdige.
Naudé erbleichte.
»Auch die verloren? Wie der ganze Rest?«, stammelte er.
»So kann man es nennen«, beschied ihm der deutsche Gelehrte knapp.
Dieser Antwort ließ sich entnehmen, dass Schoppe dem Bibliothekar bereits von dem traurigen Verlust der Papiere von Philos Ptetès berichtet haben musste.
Wahrscheinlich hatte er ihm nicht alle Einzelheiten offenbart. Zu viel hätte er seinem französischen Kollegen erklären müssen: dass der vermeintliche Schatz von Philos Ptetès unter den Kanonenschüssen einer Gruppe Irrer verschüttet worden war und vor allem, dass die Zeit, dieser blinde, unermüdliche Marathonet, der uns seit Jahrhunderten vorwärts zu laufen schien, in Wahrheit mit einer dehnbaren Kette an den Startblock gebunden blieb. Mit einem Wort, es ging darum, Naudé das Tempus der Zeit zu erklären. Denn die Geschichte ist im Grunde wie die Deklination eines Verbs, also die Zeit selbst, und alles hängt davon ab, welches Tempus man wählt.
Von diesen sonderbaren, komplizierten Überlegungen hätte Caspar Schoppe seinen verhassten und geliebten Gabriel in Kenntnis setzen |716| müssen. Doch das war eine schwere Aufgabe, und Schoppe war jetzt müde, sehr müde.
Bei dieser Gelegenheit sahen wir auch Kemal wieder. Er trat sehr prächtig gekleidet auf, war mit Dolchen und Krummsäbel wieder bis an die Zähne bewaffnet und wurde von einem großen Trupp finsterer Gestalten begleitet.
»Der Nazarenerhund Guyetus ist noch immer auf dieser Seite des Grabens«, verkündete unser Korsar mit mürrischem Sarkasmus, worauf seine Eskorte aus Schurken grinste, »aber Allah hat ihm ein böses Fieber verpasst, das möglicherweise ansteckend ist. Darum muss er isoliert bleiben. Wenn das Lösegeld kommt, geben wir ihn euch zurück, dann könnt ihr mit ihm machen was ihr wollt.«
»Verzeiht, aber könnten wir bitte die Tasche dieser drei Männer wiederbekommen?«, wagte Naudé schüchtern zu fragen.
»Du meinst die drei Idioten mit den langen Bärten? Keine Angst, Nazarener, ich habe diese Schweinerei für perverse Invertierte in Sicherheit gebracht. Ich werde sie gegen gutes Geld einem Freund in Slawonien verkaufen. Nach eurem Mönch zu urteilen, holen sie sich dort mit Hilfe von diesem Zeug gerne einen runter. Ich habe kapiert, wie krank ihr Nazarener seid: Ihr schmachtet nach allem alten Plunder, haha!«
Dann gab er zwei kräftigen Matrosen ein Zeichen, worauf sie mir mit Gewalt den Hut vom Kopf rissen.
»He, was sind das für Manieren!«, protestierte ich, aber ich ahnte bereits, was sie vorhatten.
Auf Kemals Anweisungen hin steckte einer der beiden die Hand in einen Schlitz des Hutes und zog ein Bündel Papiere heraus. Der Statthalter wusste, dass sich darunter das Petronius-Fragment befand, das wir in der Torre Vecchia gefunden hatten. Es war das letzte Beweisstück für die Fälschungen von Poggio Bracciolini und würde ebenfalls in Slawonien bei Kemals Freund landen.
Wir schwiegen bestürzt. Jetzt gab der Barbareske wieder die Befehle. Unser
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