Das Mysterium der Zeit
erklären werde.
|725| Ich habe also begonnen, meinen Plan auszuführen, indem ich mir eine Reihe von Gelehrten aussuchte, die sich mit dem Problem der Zeit beschäftigt hatten.
Allen voran Schoppe, den grimmigen Verfolger des Herren der Zeit – Scaliger.
Dann einen skeptischen Philologen wie Guyetus, der für mich jedoch die größte Enttäuschung wurde: Er hat nicht mehr getan als zu beweisen, dass die erste Ode von Horaz eine Fälschung ist. Außer Horaz gibt es nur noch einen, an den Guyetus nicht glaubt, und das ist Gott. Ansonsten glaubt er alles, sogar die Märchen von Lykurg und Petronius. Gott hat gewollt, dass Guyetus sich von dem unbekannten bretonischen Buchhändler und Drucker Hardouin begleiten ließ, auf den ich nie gekommen wäre, der aber mit seinem Scharfsinn genau der richtige Mann war. So es Gott gefällt, wird Hardouin dafür sorgen, das Werk Bouchards fortzusetzen, oder sein neugeborenes Kind, dem Schoppe die Chiffre der Namen überlassen hat.
Naudé hätte mein Meisterstück werden sollen. Ich war überzeugt, dass er hinter dem Attentat auf Bouchard steckte. Nur für ihn hatte ich die Karte der Insel und die Zettel mit den Buchstaben vorbereitet, die im geeigneten Moment gefunden werden sollten. Das Wort, das sich mit ihnen bilden ließ, war das lateinische
fraus
, also »Betrug«. Ich hatte geplant, Mazarins Bibliothekar bis zum geheimen Versteck der Papiere von Philos Ptetès gelangen zu lassen, lebhaft hatte ich mir den Augenblick vorgestellt, in dem er, der Schuldige, den letzten Buchstaben des geheimnisvollen Wortes finden würde. Ich sah ihn schon vor mir, wie er das Wort bildete, welches die gewaltige Verfälschung der Zeit und der Geschichte entlarvte, doch zugleich auch ihn des Verrats an seinem jungen Freund, der sich diesem satanischen Betrug widersetzt hatte, überführte.
Der Großbuchstabe B, den ich heimlich in den sandigen Grund der Grotte des Seeochsen gezeichnet hatte, gehörte nicht zu dem Wort
fraus
, er stand für »Bouchard«, wie Naudé sofort erraten hatte, aber er war ein spontaner Einfall von mir gewesen, um Naudé dazu zu bewegen, den Mord an seinem Freund zu gestehen.
Ich selbst habe Mazarins Bibliothekar darauf hingewiesen, dass das B nicht zu dem geheimnisvollen Wort gehören konnte, weil ich hoffte, ihn so auf den Weg zur Lösung zu bringen. Doch alle Versuche, ihm |726| den Schlüssel des Geheimnisses zuzuspielen, waren zum Scheitern verurteilt. Zum Beispiel habe ich ihm nahegelegt, dass das in der angeblichen Schatzkarte von Philos Ptetès verborgene Wort ein lateinisches Wort sein musste, weil ihr Verfasser ein Mönch war, doch selbst dieser Wink hat nichts genützt.
Ach, was sind diese
Deniaisez
doch für Hohlköpfe! Schoppe hat wirklich recht: Es gibt nichts Schlimmeres als einen großen Gedanken in einem kleinen Hirn.
Erbärmlicher Naudé, welch ein Irrtum, dich für mächtig und grausam zu halten! Ich wollte den bloßstellen, den die letzten Schriften Bouchards zum Mörder und Verräter schlechthin machten, den Verschwörer, den Bouchard für ein so treues Mitglied der
impia cohors
, der gottlosen Bande der
Deniaisez
hielt, dass er glaubte, Naudé habe seinen Tod beschlossen.
Vergeblich habe ich den Zettel mit dem letzten Buchstaben des Rätsels an die Tür zum Versteck der Handschriften geheftet. Er hat nur dazu gedient, mich von dir enttarnen zu lassen, statt Naudé zu dem angeblichen Schatz zu führen. Monatelang habe ich davon geträumt, und wie sehr ich diesen Moment herbeigesehnt habe! Der Bibliothekar greift gierig nach den Papieren und liest entsetzt die Glossen von Poggio, vor allem aber die von Bouchards eigener Hand geschriebenen Beweise für seinen infamen Verrat!
Stattdessen hast du alles in die Hand genommen: du hast das Versteck der Manuskripte entdeckt und Naudé die Anschuldigungen Bouchards gezeigt. So hast du ihn dazu gebracht, die überraschende Wahrheit zu gestehen.
Hier muss ich dir danken, mein lieber Atto. Ohne dein Eingreifen wäre die ganze Wahrheit über den unglückseligen Bibliothekar Mazarins niemals ans Licht gekommen. Er war eher ein Opfer als ein Mittäter, eher eine leidende Seele als ein Starker Geist und so unvorsichtig, wie keiner von uns erwartet hätte. Im Grunde stand Naudé der Wahrheit nicht so gleichgültig gegenüber, wie Bouchard dachte und auch ich glaubte. In der Grotte des Seeochsen hat er von Bouchard erzählt und dabei nur erfunden, dass der unglückliche junge Mann seinen Plan der
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