Das Mysterium der Zeit
Bibliothèque de l’école des Beaux Arts, ms. 502), während sich die gesichteten Briefe sowohl in Paris (Briefe von Bouchard an die Brüder Du Puy und an Peiresc, Bibliothèque Nationale, Collection Dupuy) als auch in Rom (Accademia Nazionale dei Lincei, Bestand Cassiano dal Pozzo – Lettere di Bouchard, vol. VII [5]) befinden. Im Folgenden nehmen wir die Ergebnisse des Gutachtens vorweg:
Die Untersuchung der Dokumente kann objektiv und voller Überzeugung
wie folgt abgeschlossen werden:
– Die Stellen der untersuchten Tagebücher, die intime Erfahrungen und pornographische Beschreibungen beinhalten, wurden von derselben Person angefertigt, die auch die anderen Schriftstücke verfasst hat, allerdings unter sehr offensichtlichem starken Zwang und psychisch-physischem Druck seitens Dritter oder außerhalb seines natürlichen Ausdrucks liegender Mittel (pharmakologische Substanzen, hypnotische Induktion, Drohungen u.ä.);
– Die graphologischen Charakteristiken in diesen Abschnitten, die im starken Kontrast zu denen mit »gewöhnlichem« Inhalt stehen, lassen vermuten, dass sie von der betreffenden Person in ihrer letzten Lebensphase und gegen ihren Willen niedergeschrieben und erst nachträglich in den Zusammenhang der Tagebücher eingefügt wurden.
Die skandalösen Seiten in Bouchards Tagebuch wurden also tatsächlich erst nach seinen anderen Tagebucheinträgen verfasst, aber nicht von Holste, sondern von Bouchard selbst, der von anderen in den letzten Tagen seines Lebens dazu gezwungen worden war.
Laut den Gutachtern zeigt Holstes Graphie nichts anderes als eine starke Abhängigkeit von Bouchard, die beispielsweise durch ein Gefühl von Neid, vereint mit dem Aufenthalt im selben Arbeitsumfeld entstehen konnte.
|764| Alles änderte sich: Die Tagebücher waren nicht mehr das Ergebnis eines Schwindels, sondern einer Nötigung. Jemand hatte Bouchard dazu gebracht, gegen seinen Willen zu schreiben.
Das Ende des Romans musste neu geschrieben werden. Und wie der Leser auf den letzten Seiten, die diesem Nachwort vorangehen, schon festgestellt haben wird, taten wir dies.
Der Angriff laut Gutachten
Glaubt man der allgemein anerkannten Rekonstruktion der Wissenschaftler, war das Attentat vom Abend des 10. Märzes 1641 auf dem Petersplatz in Rom die Ursache für Bouchards Ableben fünf Monate später am 27. August.
Das Ergebnis des Gutachtens widerspricht allerdings dieser Rekonstruktion.
Der Schriftzug lässt keine Elemente erkennen, aus denen man auf die
Präsenz eines Verwirrungszustandes oder einer Dysgraphie, hervorgerufen durch Schäden am Gehirn oder den äußeren Gliedmaßen, schließen könnte. Die Graphie ist gleichmäßig strukturiert sowohl in den Abständen zwischen den Buchstaben als auch in den Zeilenabständen, und auch kleine Abweichungen sind vom Betroffenen frei ausgedrückt.
Sowohl die »parallelen« als auch die »sinuösen« Schriftzeichen lassen einen
ausgeglichenen Gemütszustand erkennen, der mit der stressgenerierten Situation einer Person, die sich von einem wie in den Chroniken geschilderten Angriff nicht erholt hätte, unvereinbar ist. »Sinuös« kann eine Schrift nur sein, wenn sie spontan ist, was vom Merkmal Fluida angezeigt wird. Es ist Anzeichen einer artistischen Ader, einer gleichermaßen feinfühligen und kraftvollen Person, je nachdem wie es die Umstände verlangen. Es ist zusammengefasst alles was man unter dem Konzept der künstlerischen, intellektuellen und moralischen Einfühlung versteht.
Der Tod kann nicht aufgrund der Nachwirkungen der Gewalttat erfolgt
sein, da es kein Anzeichen einer zeitlich-räumlichen Kompensationsstörung gibt, wie sie unweigerlich bei einer Gehirnblutung (Gehirnschlag oder inneren Verletzung) entstehen würde. Im Gegenteil war die durch den Schlag auf das Ohr und den vierten und letzten Schlag auf den Kopf hervorgerufene
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Blutung vermutlich lebensrettend, da sie das Ausfließen des Blutes und somit die schnelle Erholung des (jungen) Betroffenen innerhalb weniger Tage (bis zum Verfassen des Briefes am 20. März, zehn Tage nach dem Angriff) erlaubte. Eine mögliche Lungenverletzung kann außerdem ausgeschlossen werden, da diese zu einem Abflauen der Druckstärke der Schrift geführt hätte, welche im Gegenteil druckstark und gebunden und schließlich »einfallsreich« und beharrlich ist.
Bouchards Persönlichkeit laut Gutachten
Sowohl in den Briefen als auch in den nicht anstößigen Passagen der Tagebücher tritt eine
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