Das Mysterium der Zeit
den Kardinal«, sagte ich, in der Hoffnung, ein Wechsel des Themas würde ihm gefallen.
Er öffnete den Sack und befühlte seinen Inhalt.
|147| »Unversehrt, dem Himmel sei Dank«, seufzte er erleichtert. »Seit zwei Jahren wird mein ganzes Tun und Denken, jedes Wort, das ich spreche, jede Träne, jedes Lachen, jeder Bissen, den ich esse, sogar jeder Atemzug während des Schlafes, alles, mein ganzer Geist und Körper, von einem einzigen Wunsch durchdrungen: für Seine Eminenz Kardinal Mazarin die größte Bibliothek der Welt zu erschaffen.« Er wurde lebhafter, der Jagdinstinkt des fanatischen Bücherliebhabers kam hervor. »Es ist gleichgültig, wie viel ich reisen muss und dass ich meine Jugend und meine Kräfte aufzehre, um diese Aufgabe zu erfüllen. Trotze ich nicht sogar zusammen mit Euch den Folgen eines Überfalls durch Korsaren? Im Sommer vor zwei Jahren war ich in der Picardie, dann in Flandern. In den folgenden Monaten in Italien: Rom, Florenz, Ferrara, Mantua, Venedig und das geliebte Padua. Auf der Rückreise nach Frankreich bin ich kreuz und quer durch die Schweiz und das Veltlin gereist. In diesem Jahr habe ich Genf, Basel und Philippsbourg in Lothringen durchkämmt. Im nächsten Jahr sind die Niederlande und England an der Reihe, wenn die Kriege es erlauben. Jedes Mal kehre ich beladen wie ein Esel nach Paris zurück, mit hunderten äußerst kostbarer Ausgaben und Handschriften von größter Seltenheit. Wenn meine Arbeit beendet sein wird, das schwöre ich, wird die Bibliothek Seiner Eminenz die Ambrosiana in Mailand, die Angelica in Rom und die Bodleiana in Oxford übertreffen. Sie wird die Ideale Bibliothek sein.«
Naudé machte eine kleine Pause und sah sich um, als wollte er kontrollieren, ob jemand ihn belauschte. Doch ihr schlieft alle, während Hardouin und Malagigi mit den beiden Barbaresken am Ruder schwitzten.
»Wir werden diese Insel Gorgona niemals finden«, schnaubte Malagigi, missmutig den Horizont absuchend.
»Es gibt keine Insel, die nicht gefunden werden kann«, entgegnete der Statthalter von Ali Rais verächtlich.
»Willst du uns auf den Arm nehmen?«, fragte Hardouin.
»Ihr wisst nicht, was ihr sagt«, erwiderte der Barbareske zwischen zwei Ruderschlägen. »Es hat Männer wie Murad Rais gegeben, ein holländischer calvinistischer Hund aus Haarlem, der in Wirklichkeit Jan Jansz hieß, aber eine ganze Sammlung an falschen Namen hatte und sich zum Beispiel auch John Barber oder Caid Morato nannte. Er ist im vergangenen Jahr gestorben, und sein Leben war eines Korsaren würdig. Er war ein elender Renegat wie ich, seine Schiffe lagen bei Salé |148| vor Gibraltar. In Holland hatte er Frau und Kinder, aber auch in Algier. Als ein dänischer Sklave ihm erzählte, er sei einmal auf einer Insel irgendwo im Nordmeer gewesen, wo es kalt und fast immer dunkel sei, hat er gleich gesagt, gut, fahren wir hin, und er hat sie gefunden. Diese Insel war Island. Dort hat Murad Rais sich einen Hafen ausgesucht, den Angriff befohlen und vierhundert Sklaven, Häute und Trockenfisch erbeutet. Außerdem hat er zwei Schiffe erobert und alles nach Salé, in seine Heimat, gebracht. Ein anderes Mal hat er seine Männer, Marokkaner, Janitscharen, alles Menschen mit einer Haut so schwarz wie Leder, in die eiskalten Gewässer in der Bucht von Baltimore in Irland springen lassen. Er hat ihnen befohlen, nachts anzugreifen, und seine Männer haben sich auf Baltimore gestürzt wie die Bestien, bewaffnet mit Krummsäbeln, Fackeln und Brechstangen. Nachdem sie alles verwüstet und verbrannt hatten, hat Murad Rais über dreihundert Sklaven heil und gesund bis nach Algier gebracht. Und du willst mir sagen, wir können nicht bis nach Gorgona kommen, das man von der Küste aus mit bloßem Auge sieht? Hahaha!«
Das hässliche Lachen des Korsaren hallte unheimlich über die Schlucht aus Wasser und Dunkelheit, die uns einzusaugen schien. Trotz seiner Erzählung hatte Kemal keine Sekunde lang den Rhythmus seiner regelmäßigen Ruderschläge unterbrochen. Malagigi dagegen stöhnte immer noch zwischen zwei Ruderschlägen auf.
»Und du, junger Singvogel«, sagte der Korsar zu Malagigi, »wenn du dich weniger anstrengen willst, halte das Ruder in größerem Abstand zur Dolle fest. Siehst du, wie ich es mache? Richtig, brav, mach so weiter. Und danke dem Himmel, dass auf diesem Boot nicht der berühmte Murad Rais das Kommando führt. Wenn die Galeeren der Cavalieri von Malta ihn verfolgten und er seine Rudersklaven
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