Das Mysterium der Zeit
habe die Nazarener getäuscht, indem er so tat, als verstehe er kein Italienisch, und habe auf ihre Fragen nur türkisch geantwortet.
Wer weiß, ob das stimmt. Den Aussagen mancher Zeugen zufolge wurde er unmittelbar nach seiner Freilassung aus der Gefangenschaft des Vizekönigs zum Mannschaftsführer des Flaggschiffs von Tunis ernannt. Man erzählte auch, dass er in Bizerta dank der Erträge aus seinen Raubzügen ein Haus, Weinberge, Felder, Frauen und Kinder hatte. Ein Jahr vor seiner Gefangennahme in Palermo war er zum Rais erhoben worden, nämlich zum Kommandanten einer Karacke von Jusuf Dey, dem Regenten von Tunis. Von seiner ersten Fahrt mit dem neuen Schiff war er mit zweihundert Nazarenern zurückgekommen, allesamt Soldaten der Republik Venedig. Darauf hatte der Dey ihm drei neue, soeben erst mit Mannschaft und Waffen bestückte Schiffe anvertraut, und mit diesen war er nach Sizilien aufgebrochen, wo das Schicksal den letzten, endgültigen Hinterhalt für ihn vorgesehen hatte, indem es ihn in die Hände der verhassten Christen trieb.
|153| Die erdrückendste Zeugenaussage gegen Ali kommt von einem Kapitän aus der Lombardei, Defendi Massarolo. Er ist auf Durchreise in Palermo, und als er von Alis Gefangennahme hört, bittet er darum, ihn sehen zu dürfen. Er ist ein sehr wertvoller Zeuge, denn vor sechsundzwanzig Jahren hat er Ali als Kind kennengelernt, in dem Dorf Ariano in Venezien, auf halben Weg zwischen Ferrara und der Adriaküste. Der Name des Jungen war Guicciardino, an den Nachnamen erinnert der Kapitän sich leider nicht mehr. Die Mutter hieß Lucrezia Valona. Ein paar Jahre später hat er ihn als Schiffsjungen auf eine Fahrt durch die Adria mitgenommen. Dann hat er ihn aus den Augen verloren.
Neun Jahre später wurde das Schiff des Kapitäns Massarolo, das ausgerechnet »La Ferrarese« hieß, von fünf Schiffen aus Bizerta verfolgt, eingekreist und gekapert. Massarolo wurde auf das Schiff des Kommandanten der Korsaren geführt, eines gewissen Rabaxi Rais. Ein Türke aus der Mannschaft kam ihm mit einem breiten Lächeln entgegen und fragte in perfektem Italienisch: »Erkennt Ihr mich nicht?«. Als Massarolo zögerte, gab der junge Korsar sich zu erkennen: »Ich bin Guicciardino, erinnert Ihr Euch? Euer Lehrling zur See … Es tut mir leid, dass Ihr von uns gekapert wurdet, aber so läuft es nun mal auf den Meeren.« Guicciardino war inzwischen Mannschaftsführer des Schiffes von Rabaxi Rais geworden. Er tröstete Massarolo, riet ihm, geduldig zu sein, und später lud er ihn sogar ein, das Abendessen mit ihm zu teilen: hartes Brot, in Wasser aufgeweicht und mit ein bisschen Honig versüßt.
Massarolo war viele Jahre lang Sklave in Tunis, wo er Guicciardino häufig sah, der ihm, wenn der italienische Kapitän krank wurde, durch einen Nazarenersklaven sogar Kleidung und Geld zukommen ließ. Hier in Palermo hat Massarolo Ali wiedererkannt.
Jetzt hat man genügend Beweise gesammelt, um den Angeklagten in die Verliese des Heiligen Offiziums verlegen zu lassen, die sehr viel sicherer sind als die gewöhnlichen Gefängnisse. Tatsächlich geht schon das Gerücht um, Ali habe demjenigen, der ihm zur Flucht verhelfe, zwanzigtausend Dukaten angeboten. Man weiß nun, aus welchem Dorf der Korsar vermutlich stammt, und wie gefährlich es wäre, wenn er seine Freiheit wiedererlangen würde. Er selbst hatte das Gerücht verbreiten lassen, sobald er zurück in Tunis wäre, würde er so viele Christen wie möglich verbrennen oder ertränken. Man |154| hätte auch noch die Mannschaften der Schiffe verhören können, die er zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme befehligte, doch leider waren die Männer bereits als Sklaven auf andere Schiffe verteilt worden.
Also geht man dazu über, ihm ein Geständnis abzupressen. Ali beginnt, Erklärungen abzugeben, die er auf türkische Art beschwört, indem er den Zeigefinger der rechten Hand zum Himmel hebt. Er weigert sich, auf das Kreuz zu schwören wie ein Nazarener. Seine Aussagen werden von einem christlichen Dolmetscher übersetzt.
»Ich heiße Ali vom Schwarzen Meer, ich bin Türke, geboren in Sinope, und ich bin Kapitän der Galeonen, die von den sizilianischen Galeeren vor anderthalb Monaten vor Capo Bon aufgebracht wurden. Ich wurde auf diesen Galeeren in Ketten gelegt bis zur Verlegung in die Gefängnisse dieses Gerichts, welche gestern stattfand. Ich bin vierzig Jahre alt. Mein verstorbener Vater hieß Isem und war Türke, geboren in Sinope. Auch meine Mutter wurde
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