Das Mysterium der Zeit
es auch ein Feuer oder einen Leuchtturm geben, der uns helfen wird, sie zu erspähen. Wir finden sie, seid guten Mutes.«
Auf der Insel würden wir warten, bis ein französisches oder spanisches Schiff anlegte, um Wasser zu holen.
|145| DISKURS XIX
Darin man sich im Rudern erprobt und alsbald von einer Geschichte abgelenkt wird.
Die vier Ruderer mühten sich tapfer, doch um das Boot stabiler im Wasser zu halten, mussten wir anderen uns hinlegen oder uns wenigstens auf die Bänke kauern. Innerhalb weniger Minuten ließen die Müdesten sich vom regelmäßigen Eintauchen der Ruder in den Schlaf wiegen. Auch du warst entschlummert und neben dir Barbello. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Naudé, der noch hellwach schien, seinen schweren, prall gefüllten Ledersack geöffnet hatte und darin wühlte. Ich hob die Augen, und er sah, dass auch ich wach war.
»Ich bin zu Tode erschöpft«, sagte er, »doch ich kann nicht schlafen, bevor ich mich nicht vergewissert habe, dass Kardinal Mazarins Bibel unversehrt ist.«
»Ich verstehe Euch, Monsire Naudé, auch ich habe nur wie durch ein Wunder die Aufzeichnungen für den Großherzog der Toskana gerettet. Wer hätte diese Katastrophe vorhersehen können? Pasqualini war klüger, er hat nicht mal einen roten Heller Bargeld mitgenommen, er kam aus Rom nur mit den Wechselbriefen an, die ihm der Kardinal geschickt hatte.«
»Rom! Ach, was gäbe ich nicht dafür, wenn ich es nie verlassen hätte«, seufzte Naudé.
Darauf erzählte ich ihm, dass ich vor dreizehn Jahren einen Franzosen wie ihn kennengelernt hatte, einen gewissen Jean-Jacques Bouchard, der im Dienst der Kardinäle Antonio und Francesco Barberini stand, den Neffen Papst Urbans VIII., der unserem derzeitigen Papst Innozenz X. Pamphili vorausgegangen war.
»Er kam auf der Durchreise gen Rom nach Florenz und trieb ein ähnliches Gewerbe wie Ihr, Monsire Naudé, er suchte Bücher und Handschriften für die Bibliothek seines Padrone, in seinem Fall Kardinal Barberini.«
Bouchard war in die Toskana gekommen, um den großen Galileo Galilei zu besuchen, so wie auch Naudé ihn in Padua besucht hatte. Nachdem Galileo vom Papst wegen seiner Ideen über die Bewegung der Himmelskörper verurteilt worden war, hatte er seine Haftstrafe im eigenen Haus verbüßen dürfen. In der Toskana genoss der angesehene |146| Wissenschaftler den besonderen Schutz des Großherzogs, der ihn sogar persönlich aufsuchte. Der wahre Grund für Bouchards Reise war freilich ein anderer: er suchte einen Kopisten, der einen alten griechischen Kodex mit Schriften eines sehr geheimnisvollen Autors, eines gewissen Georgios Synkellos, entziffern konnte. Der Text war in einer sehr komplizierten Minuskel geschrieben, die sogar er selbst kaum lesen konnte, und Bouchard wollte ihn in einer modernen Ausgabe veröffentlichen lassen. Das Großherzogtum der Toskana war für die unübertreffliche Geschicklichkeit seiner Kopisten berühmt, wie Naudé wusste. Doch Bouchard hatte sich nicht, wie Naudé, an die offiziellen Kopisten des Großherzogs gewandt, sondern einen privaten Skribenten aufgesucht, wahrscheinlich weil die Expansionsbestrebungen der Barberini, seiner Herren, den Medici ein Dorn im Auge waren und er deshalb nicht in den Genuss jener Gunstbeweise gekommen wäre, die Mazarin und der Regentin Anna von Österreich, überdies eine Cousine des Großherzogs, gewährt wurden.
Der junge Franzose war zufrieden nach Rom zurückgekehrt. In der Toskana hatte er den Mann gefunden, den er brauchte, und ihm nicht nur die Entschlüsselung des Kodex von Synkellos, sondern auch das getreue Kopieren vieler anderer Schriften anvertraut.
»Ich kannte Bouchard auch.«
»Das dachte ich mir, Monsire Naudé. Beide Franzosen, um dieselbe Zeit in Rom …«
»Ihr habt recht. Unmöglich, sich unter Landsleuten nicht kennenzulernen und miteinander Umgang zu pflegen«, antwortete er und kramte wieder in seinem Sack. »All jene Franzosen, die zwischen Frankreich und Italien hin- und herfuhren: Bourdelot, Quillet, Montereul, Saint-Amant …«
Der Bibliothekar Seiner Eminenz verstummte. War er in ernste Überlegungen versunken, die er mir nicht offenbaren konnte? Vielleicht wagte ich mich zu weit vor, Naudé war ein enger Mitarbeiter des wichtigsten Staatsmanns von Frankreich, und nur die ungewöhnlichen Begebenheiten dieser Stunden zwangen ihn zu einer gewissen Vertraulichkeit mit mir, dem bescheidenen Secretarius.
»Apropos, erzählt mir doch bitte von der Gutenbergbibel für
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