Das Mysterium der Zeit
unsere Inspektion zu Ende zu bringen, stürzten wir auf den Hof und dann in das Gebäude neben der Kirche, wo sich herausstellte, dass die Jagd dank der erprobten Spürnasen Kemal und Mustafa erfolgreich gewesen war.
In einer dunklen Ecke gab es ein Türchen und dahinter eine Treppe, die wir hinabstiegen, bis wir in einen engen, muffigen Keller gelangten, in den nur durch einen Gitterrost Licht fiel. Die beiden Korsaren hatten herausgefunden, dass sich unter den beiden Zimmern neben der Kirche dieses Lager befand, wo zwei Fässchen mit Salzheringen, eine große Menge Zwieback von der Art, wie man ihn auf lange Schiffsreisen mitnimmt, und sogar mehrere schöne Würste versteckt waren. Wie lange warteten diese Lebensmittel hier schon auf ihren Besitzer? Gleichviel, wir nahmen dieses unerwartete Gottesgeschenk an und schlugen aus Dankbarkeit sogar das Kreuzzeichen (die beiden abtrünnigen |188| Korsaren ahmten uns mit ausladenden Gesten nach, doch das fromme Zeichen misslang ihnen, weil sie sich erst rechts und dann links auf die Brust schlugen).
Dann fanden wir sogar trockene Kichererbsen in Säcken, reifen Käse und getrocknete Früchte, was die Freude der ganzen Gruppe beträchtlich steigerte.
»Hoch lebe die Torre Vecchia!«, rief Naudé aus, einen Zwieback in die Höhe hebend, als wäre es ein Kelch besten Weines, und sogleich taten es ihm alle nach.
»Wir haben hier einen schönen reifen Käselaib, das ist ja, als wäre man am Hof von Arnau Aimar!«, verkündete Kemal zufrieden.
»Wer ist das?«, fragte Schoppe argwöhnisch.
»Ein Renegat aus Mallorca, der zufällig immer Schiffe voller Käse kaperte. Doch auch Ali Rais ist großzügig wie ein König, wenn es darum geht, aus festlichem Anlass Quark und Käse zu verteilen.«
Dann kam die große Überraschung: unter einer dichten Staubschicht tauchte eine Ballonflasche auf, sehr schwer und darum vielversprechend.
Sofort legten sich viele Hände um den Hals des großen, bauchigen Behälters. Der Korken wurde aufgebrochen und unter fieberhaftem Hantieren mit Gürtelschnallen und anderen recht unorthodoxen Werkzeugen herausgezogen. Als Trinkgefäß diente der derbe Brunneneimer, doch war es der angenehmste Schluck, der jedem von uns jemals gewährt wurde.
»Hoch lebe die Torre Vecchia!« – »Hoch lebe Gorgona!« Guyetus und Schoppe übertrafen einander an Begeisterung, während sie sich den mit Wein gefüllten Eimer reichten und ihre Mienen endlich die Falten des Grolls und stirnrunzelnden Jammers verloren, die Körper sich unversehens belebten.
»Hoch lebe diese Festung!«, stimmte Hardouin ein, »und hoch lebe die Rettung vor …«
Malagigi war soeben in dem kleinen Keller angekommen, wir hatten kaum Notiz davon genommen, dass er sich so lange im Turm aufgehalten hatte. Er hielt ein Blatt Papier in der Hand.
»Habt Ihr das nicht gesehen?«, fragte er Naudé und mich, mit dem Papier wedelnd. »Es lag in einer der zwei Truhen im Erdgeschoss des Turms.«
»Nun, wir haben es wohl übersehen«, antwortete Naudé ein wenig |189| verlegen, »denn kaum hatten wir gehört, dass Lebensmittelvorräte gefunden wurden, sind wir hierher geeilt. Was ist das?«
Ich hielt mir unterdessen das mit einer winzigen Handschrift bedeckte Blatt unter die Nase, und alle anderen drängten sich um mich.
DIALOG
Darin sich ein Streit abspielt, welcher einer gesitteten menschlichen Gemeinschaft unwürdig ist, und über die soeben entdeckte Handschrift disputiert wird.
Der Text war lateinisch abgefasst und sah ganz nach einem Entwurf aus, denn er war voller Korrekturen, Streichungen und Randbemerkungen.
Es handelte sich um eine eigenartige Erzählung:
Sed ut coeperam dicere, ad hanc me fortunam frugalitas mea perduxit. Tam magnus ex Asia veni, quam hic candelabrus est. Ad summam, quotidie me solebam ad illum metiri, et ut celerius rostrum barbatum haberem, labra de lucerna ungebam. Tamen ad delicias ipsimi annos quattuordecim fui. Nec turpem est, quod dominus iubet. Ego tamen et ipsimae satis faciebam. Scitis quid dicam: taceo, quia non sum de gloriosis. Ceterum, quod di volunt, dominus in domo factus sum, et ecce cepi ipsimi cerebellum. Quid multa? Coheredem me Caesari fecit, et accepi patrimonium laticlavium.
»Was ist das?« fauchte Guyetus und riss mir das Blatt aus der Hand, womit er Schoppe knapp zuvorkam, der bereits die Finger ausgestreckt hatte, aber von dem vor ihm stehenden Barbello am Zugreifen gehindert wurde.
Guyetus begann, den kurzen Abschnitt laut zu
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