Das Mysterium der Zeit
übersetzen:
Wie ich schon sagte, zu diesem Glück hat mir meine Genügsamkeit verholfen. Als ich aus Asien kam, war ich so groß wie dieser Kandelaber und tatsächlich maß man mich jeden Tag an demselben. Damit mir schneller ein Bart wuchs, rieb ich mich mit Lampenfett ein. Vierzehn Jahre lang musste ich meinem Padrone zur Lust dienen. Es ist nichts |190| Böses dabei, denn der Padrone befiehlt. Natürlich habe ich mich mit der Padrona verlustiert, Ihr versteht mich. Und mehr sage ich nicht, denn ich bin kein Angeber.
Nach dem Willen der Götter wurde ich innerhalb kurzer Zeit zum Herrscher in diesem Hause, ja, der Padrone dachte nur noch mit meinem Kopf. Was soll ich sonst sagen? Er machte mich zum Miterben, und ich erhielt Reichtümer wie ein Senator.
Neben dem lateinischen Text, in einem Dickicht aus Schnörkeln und Pfeilen, die, sich überkreuzend, auf dieses oder jenes Wort verwiesen, las man überaus rätselhafte Anmerkungen, diese in altem Italienisch verfasst:
Die Geschichte des Trimalchio mit einigen Wendungen des Schicksals fortführen.
Verlust von Geld. Schiff, das untergeht. Dreißig Millionen Sesterzen.
Dann verlässt die Gesellschaft das Bankett.
Sie kehren ins Wirtshaus zurück.
Der Freund vergnügt sich mit dem Knaben.
»Bei allen Göttern, was bedeutet das?«, fragte nun Schoppe, während er Guyetus das Blatt entriss.
»Eine lateinische Handschrift hier auf Gorgona, die kann doch nur von Philos Ptetès stammen«, rief ich aus.
Bei diesem Namen zuckte Schoppe zusammen. Er verstand nicht, was Gorgona mit dem Mönch aus Slawonien zu tun hatte, denn er wusste ja noch nichts von dem, was du Naudé und Guyetus berichtet hattest, dass nämlich Philos Ptetès möglicherweise derselbe slawonische Mönch war, der vor zwei Jahren auf unserer ersten Fahrt nach Paris auf Gorgona zurückgelassen worden war, weil eine Schlange ihn gebissen hatte. Rasch erhelltest du ihm den Zusammenhang, der vom Verehrungswürdigen mit Zeichen großer Erregung aufgenommen wurde.
Die erste untrügliche Spur von Ptetès Anwesenheit auf der Insel. Doch bevor geklärt wurde, wie und wann er das Dokument, das seinen Aufenthalt verriet, hier abgelegt hatte, hätten alle liebend gerne erfahren, ob wir womöglich eine erste Kostprobe der begehrenswerten Schätze des slawonischen Mönchs entdeckt hatten. Ein sehr wichtiges Indiz gab es bereits: den Namen auf diesem Papier.
|191| »Trimalchio!« Naudé schluchzte fast, seine Stimme war heiser vor Aufregung.
In einfache Worte übersetzt für jemanden, der die gesamte lateinische Literatur nicht im Schlaf kannte wie Naudé und Schoppe, verbarg sich folgendes hinter diesem Namen:
Unter den Werken, die Philos Ptetès in seinem Brief zu besitzen behauptete, befand sich auch das berühmte
Satyricon
von Petronius, dessen vollständige Handschrift einer der Wunschträume aller Philologen und Literaten auf der Welt war. Denn von dem Roman des Titus Petronius Arbiter, wie sein lateinischer Name lautete, waren nur ein paar Dutzend Seiten erhalten, vielleicht nicht einmal ein Zehntel des Gesamtwerks. Das
Satyricon
, das als eine der erlesensten Perlen der Literatur der Antike gilt, verschwand auf geheimnisvolle Weise während der dunklen Jahrhunderte des Mittelalters und wird heute endgültig als verloren angesehen. Eine der Hauptfiguren in dem Werk war Trimalchio, ein freigelassener und dann zu maßlosem Reichtum gelangter Sklave, der eine recht gemischte Gruppe von Gästen zu einem üppigen Abendessen einlädt, wo unter großer Prunkentfaltung die erlesensten Speisen serviert werden. Doch die Beschreibung dieses Gastmahls, wie auch fast das ganze
Satyricon
, ist uns leider nur fragmentarisch überliefert.
Das unbekannte, von uns soeben entdeckte Papier war für Geist und Herz unserer Gelehrten wie ein Blitz in einer stillen, mondlosen Nacht, konnte es sich doch um ein bisher unbekanntes, unschätzbar wertvolles Fragment aus dem Gastmahl des Trimalchio handeln.
Überraschend bemächtigte sich wieder Guyetus mit katzenhafter Wendigkeit des Dokuments.
»So überlasst mir dieses Stück Papier doch bitte einen Augenblick lang«, flehte Schoppe, die Arme ausgestreckt wie ein Flüchtling in der Wüste, welcher der ersten Wasserquelle zustrebt, und es gelang ihm, des Blattes erneut in seinen Besitz zu bringen.
»Ich bin dran, verflucht, ich habe es noch nicht einmal angerührt!«, rief Naudé laut.
Innerhalb kürzester Zeit entstand zwischen den vieren ein würdeloses, ihrem
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