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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Jahrhunderten. Das Problem ist nur, dass es sich nicht um eine alte Handschrift aus dem neunten oder zehnten Jahrhundert nach Christi Geburt handelt. Man sieht genau, dass die Schrift nur ein paar Jahrhunderte alt ist. Und ich glaube, dass es sich um die Handschrift von Poggio Bracciolini handeln könnte, den angesehenen, ruhmreichen Humanisten aus Florenz, der zahlreiche unbekannte Werke der lateinischen Antike entdeckte. Das sage ich, weil Poggio berichtete, er habe ein Fragment |194| des
Satyricon
in seinen Besitz gebracht, dessen Spuren sich jedoch danach verloren. Es könnte also dieses hier sein. Wenn meine Schlussfolgerungen richtig sind, haben wir ein Fragment jenes Werks von Petronius in Händen, das der berühmte Poggio Bracciolini aus einem Kodex in einer alten Abtei kopiert haben muss. Wahrscheinlich war dieser Kodex einer seiner genialen Funde, für die er so berühmt wurde. Die Schrift auf dieser Seite entspricht jedenfalls jener der florentinischen Humanisten. Und wenn es nicht Poggio persönlich war, dann war es eben einer der Kopisten in seinen Diensten.«
    Schoppe, Guyetus und Hardouin nickten: Ein rascher Blick hatte vor allem den ersten beiden genügt, um eine Vorstellung von Alter und Provenienz des Manuskripts zu gewinnen.
    »Allerdings …«, zögerte Hardouin.
    »Allerdings?«, drängte Malagigi, der, wie wir auch, in der Philologie und ihren labyrinthischen Geheimnissen gänzlich unbewandert war.
    »Im Grunde kann man sich nie sicher sein«, ergänzte der Bibliothekar in einer Mischung aus Vorsicht und Vagheit. »Wenn Poggio brieflich von seinen Funden erzählte, brachte er gern alles durcheinander, und in dem, was er schreibt, gibt es immer ein paar Unstimmigkeiten. In Sankt Gallen erzählt er erst, dass er Handschriften in einem Turm des Klosters gefunden hat, dann war es die Bibliothek oder umgekehrt. Häufig verschwinden die Handschriften, die er angeblich kopiert haben will, zurückbleibt nur Poggios Kopie, von der man daher nicht sagen kann, wie genau sie ist, und so weiter.«
    »Und diese Anmerkungen am Rand, was bedeuten die?«, fragtest du. »Sind das Geschichtchen, zu denen das
Satyricon
Poggio inspiriert hat?«
    »Gott bewahre dir deine Naivität, Junge!«, rief Caspar Schoppe kopfschüttelnd aus und seufzte.
    »Ich bitte Euch, junger Atto!«, ereiferte sich nun auch Guyetus. »Geschichtchen? Es ist doch sonnenklar, dass es sich hier um Glossen handelt, Anmerkungen, die wir Philologen am Rand eines Textes für unsere eigenen Zwecke notieren. Poggio wird es ebenso gehalten haben: Er scheint eine rasche Glosse mit dem Fortgang der Handlung entworfen zu haben. Vielleicht weil der Text lückenhaft war und er daher nicht genau verstand, was im Folgenden geschah.«
    Sodann verkündete Schoppe mit dem Mangel an Bescheidenheit, der ihm eigen war, das
Satyricon
besser zu kennen als jeder andere, |195| weil er als junger Mann eine Untersuchung von Petronius’ Text verfasst habe, und weil er dank seiner unübertrefflichen Bildung in den Kreis engster Freunde des Gelehrten Melchior Goldast aufgenommen worden sei, jenes angesehenen Verlegers, der das Wenige veröffentlicht hatte, was vom
Satyricon
bis heute erhalten war.
    »Ruhe, der Verehrungswürdige spricht«, zischte Gabriel Naudé seinem Kollegen Guyetus ins Ohr.
    Schoppe warf beiden einen flammenden Blick zu. Nachdem unter seinen Zuhörern wieder Ruhe eingekehrt war, verkündete er mit strenger Miene:
    »Meiner Meinung nach haben wir eine der wichtigsten philologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte, ach, was sage ich, der letzten Jahrhunderte vor uns.«
    Als ich deinen Gesichtsausdruck musterte, glaubte ich deutlich die nicht besonders reinen Gedanken lesen zu können, die deinen Geist in Aufruhr versetzten: Eine Laune des Schicksals wollte es, dass dieses Stück des Petronius, wenn es sich denn wirklich um das
Satyricon
handelte, wie gemacht schien, um die Diskussion, die wir zu Beginn der Reise gehabt hatten, wieder zu entfachen. Das Schicksal lacht dem, der sich von seinen Herren genießen lässt, und auch wenn er insgeheim das zarte Geschlecht vorzieht, findet er sein Glück doch nur, wenn er bei der widernatürlichen Liebe abkassiert.
    Das war kein Zufall, mein lieber Atto: Diese Namen und diese Titel – Petronius und sein
Satyricon
sind nur ein Beispiel von vielen – waren, sind und bleiben dem Großteil der Menschheit völlig unbekannt, aber sie beherrschen unsere Gedanken, Reaktionen, Neigungen, Gebräuche und

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