Das Mysterium der Zeit
später auch an diesen laben können. Darum nahm die ganze Gesellschaft Naudés Vorschlag ohne Gewissensbisse an. Das Schlachten wurde den Barbaresken übertragen, die mit dem blutigen Gebrauch des Messers nur allzu vertraut waren. Alis Statthalter zeigte sich recht zufrieden, wieder in den Besitz einer seiner Klingen zu kommen, wenngleich nur für kurze Zeit und für einen profanen Zweck. Die beiden Alten der Truppe, Guyetus und Schoppe, legten ihre Mäntel auf einem Stuhl unter |215| der Treppe am Eingang ab und machten sich daran, im großen Kamin ein Feuer zu entfachen.
Doch schon kam die nächste Neuigkeit. In der Kammer, über deren Eingang die Inschrift MUNITIONI stand, hatte Mustafa einen losen Stein im Boden entdeckt. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass der Spalt zwischen diesem und dem Nachbarstein einen eisernen Ring verbarg. Als er daran zog, hatte der Stein sich gehoben und ein Loch offenbart. Darin befanden sich, in wollene Tücher gewickelt, zwei Gewehre nebst einem stattlichen Vorrat an Schießpulver. Das Versteck war zwar gut getarnt, doch ein großer Riss in der gesamten Mauer auf dieser Seite des Turms hatte den Stein über dem Versteck gelockert. Die Entdeckung versetzte die Gruppe in freudige Erregung: Wir hatten zwei funktionstüchtige Waffen, unendlich viel präziser als die Pistole und sogar mit Zünder ausgestattet.
Grausam war jedoch die Enttäuschung und Überraschung, als man zum Hühnerstall zurückkehrte.
»Verflucht, wer hat die Tür geöffnet?«, brüllte Mustafa.
»Sie entwischen! Die Hühner laufen aus dem Käfig!« Auf Pasqualinis Schrei setzte die Gruppe in alle Richtungen zur Verfolgung des Federviehs an.
»Eins ist dorthin!«, rief Kemal, dem Huhn bereits hinterherstürzend. Dessen Versuch, über ein Mäuerchen zu flattern, scheiterte kläglich, als der Korsar es grob am Hals packte.
Es war eine hektische, chaotische Jagd. Die gesamte Gesellschaft stürzte mal hierhin, mal dorthin, und hätten die Mägen, die wahren Opfer der Hühnerflucht, nur gekonnt, sie hätten die Flüchtenden mit Händen und Füßen ergriffen.
»Verrat! Wer hat den Käfig geöffnet?«, brüllte Caspar Schoppe aus vollem Halse, während er, von Korpulenz und Alter beschwert, unbeholfen an der tristen Treibjagd teilzunehmen versuchte und prompt frontal mit Kemal zusammenstieß, sodass er unglücklich zu Boden stürzte.
»Zwei, ich habe zwei gefangen!«, verkündete Naudé mit vor Erregung brechender Stimme, zwei fette Hennen brutal unter den Arm gequetscht.
Die Bilanz fiel deprimierend aus: nur vier Tiere waren zurückgewonnen, die anderen hatten sich, Stufen und vorspringende Steine nutzend, auf die Mauern der Festung geflüchtet und waren dann auf |216| die Klippen oder gleich ins Meer gestürzt. Statt eines Mittagessens erwartete uns eine Zwischenmahlzeit.
Konsterniert blickten wir einander an. Aller Augen richteten sich auf die einzige Person, die nicht an der Jagd teilgenommen hatte und jetzt abwesend und stumm in einer Ecke saß: Barbello.
»Du bist das gewesen!«, sagte Guyetus anklagend.
»Das sagst du!«, erwiderte der andere.
»Ich sage es auch«, fuhr Pasqualini ihn an, »ich habe dich gesehen.«
Es war so gelaufen: Barbello hatte seine Notdurft in der Nähe des Hühnerstalls verrichtet, war mit dem Ellenbogen gegen den Riegel gestoßen, und die Tür hatte sich geöffnet.
»Wir brauchen Freiwillige«, erklärte Caspar Schoppe. »Während die Hühner braten, gehen wir mit den Gewehren auf Jagd nach Wild. Vögel, Kaninchen, Marder, alles kommt uns recht zum Überleben. Aber schafft mir Barbello aus den Augen, sonst erwürge ich ihn.«
Wir besprachen uns, natürlich ohne die Korsaren, denen man keine Waffen überlassen durfte, und Barbello, dem Schuldigen an unserer Notlage. Überraschend stellte sich ein erfahrener Jäger unserer Gruppe vor:
»Vergebt mir meine Unbescheidenheit, aber letztes Jahr habe ich mehr Fasanen nach Haus gebracht als alle Garnisonen des Königs im Louvre«, verkündete Naudé.
»Gabriel, wisst Ihr, was Ihr da sagt?«, fragte Guyetus.
»Dieses Talent war auch mir an dir gänzlich unbekannt«, bemerkte Schoppe.
Die spitzen Bemerkungen ignorierend, entschied Naudé, dass du und ich mit ihm gehen sollten, du als Gehilfe und ich als Jäger, da meine Wenigkeit jahrelang in Begleitung des Cavaliere Sozzifanti, meines Herrn und deines Taufpaten, durch die üppige Landschaft der Maremma gezogen und stets mit vollen Jagdtaschen zurückgekehrt
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