Das Nazaret-Projekt
verfügt!«
Meyrink, der sich ebenfalls aufgesetzt hatte, blickte seinen Schüler finster an und rieb sich seinen schmerzenden Ellbogen.
»Würden Sie vielleicht die Güte haben und einem armen, alten Mann erklären, was hier eigentlich vor sich geht?«
Der Prediger grinste verzweifelt. »Ich werd’s versuchen. Also, ich denke – nein, ich bin sicher, dass ›Nazaret‹ im Augenblick von einem großen Piratenschiff da draußen mit Granaten beschossen wird und wahrscheinlich in Kürze entweder versenkt oder von todesmutigen, islamistischen Gotteskriegern geentert wird. Außerdem besteht seit eben der begründete Verdacht, dass sich Jablonskys harte Jungs entschlossen haben, uns schnöde im Stich zu lassen und mit dem Hubschrauber schnellstens zu verduften! Was halten Sie von diesen Aussichten, Sir?«
»Ich halte sie für ziemlich interessant, in der Tat! Natürlich verstehe ich, dass Sie jetzt sehr besorgt sind, nicht wahr? Aber ich kann Sie beruhigen, ich habe heute mit Allah gesprochen und er hat mir versichert, dass uns nicht das Geringste geschehen wird!«
»Wie bitte?«
Nun war zur Abwechslung Telly kurz davor, ärgerlich zu werden, aber Hieronymus fuhr unbeeindruckt fort: »Sie haben immer noch kein Vertrauen in Gott! In so einer Situation ist das sehr, sehr schlecht! Aber lassen Sie mich kurz eine kleine, lehrreiche Geschichte erzählen. Als ich damals in der Schweiz mit meinem Lehrer Reshad Feild dringend spät nachts von Luzern nach Zürich reisen musste, stand in der Schule zufälligerweise gerade kein Fahrzeug zur Verfügung außer einem uralten, klapprigen Automobil, das wahrlich alles andere als fahrtüchtig gewesen war. Reshad ignorierte einfach alle meine Einwände und Bedenken und bestand darauf, mit dieser Rostlaube ohne Heizung mitten im tiefsten Winter …«
Höchst ungehalten unterbrach der Reverend seinen Lehrer: »Ihre Erinnerungen in allen Ehren, Sir, aber ich fürchte, wir haben jetzt keine Zeit mehr, uns gegenseitig Geschichten zu erzählen, obwohl ich durchaus auch etwas Wichtiges zu erzählen hätte! Wenn mich nämlich nicht alles täuscht, dann sind das Schüsse aus einer Maschinenpistole, mit der irgendjemand in der Station herumballert. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass die Terroristen schon dabei sind, die Insel zu stürmen! Kommen Sie endlich, wir sollten wenigstens versuchen, uns so gut wie möglich irgendwo zu verstecken!«
Der Prediger fasste Hieronymus am Arm und wollte ihn zur Türe drängen. Ärgerlich machte sich der Alte von seiner Hand los und funkelte ihn vorwurfsvoll an.
»Wozu verstecken? Ich jedenfalls bleibe wo ich bin, und wenn Sie auch nur annähernd genügend Verstand und Vertrauen besitzen, dann sollten Sie ebenfalls hier bleiben und sich wenigstens meine Geschichte zu Ende anhören, Sie ungläubiger Thomas!«
Der Reverend zögerte einen Augenblick und überlegte fieberhaft. Dann hatte er plötzlich eine Idee, die ihnen mit etwas Glück vielleicht das Leben retten oder zumindest das Schicksal ersparen könnte, sofort an Ort und Stelle erschossen zu werden!
Wortlos zog er die gestohlenen Handschellen aus seiner Tasche, griff blitzschnell nach dem rechten Arm des verdutzten Alten, legte ihm die eine Hälfte der Acht um das Handgelenk und ließ den Verschluss einrasten. Dann fasste er durch die Messingstangen am Fußende des Bettgestells, legte die andere Hälfte der Fessel um sein eigenes linkes Handgelenk, zog den Schlüssel ab und versenkte ihn in seinem rechten Schuh.
Merkwürdigerweise ließ Hieronymus den Überfall absolut gleichmütig über sich ergehen, ohne jeden Widerstand und auch ohne ein einziges Wort des Protestes. Er blickte nur kopfschüttelnd kurz auf Telly, setzte sich schweigend auf das Bett, schloss die Augen und beschränkte sich darauf, langsam, tief und gleichmäßig aus- und einzuatmen.
Von den unteren Decks waren nun unentwegt Schüsse, Lärm und lautes Gebrüll zu vernehmen, das bedrohlich näher kam. Dann peitschte plötzlich scharf und überlaut die Garbe einer Maschinenpistole den Flur des Wohndecks entlang. Die Projektile prallten dröhnend von den stählernen Wänden ab und surrten wie zornige Hornissen als Querschläger herum. Der Tanz der Bleikugeln wurde jäh durch einen barschen, in arabischer Sprache gebrüllten Befehl gestoppt.
Telly und Hieronymus mussten dann mit anhören, wie sich eine Anzahl Männer daran machte, systematisch jede einzelne Tür der privaten Unterkünfte mit einem lauten, vielstimmigen
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