Das Nazaret-Projekt
»Allahuakbar« einzutreten.
Mit einem resignierten Seufzer öffnete Hieronymus seine Augen wieder und blickte Telly vorwurfsvoll an.
»Es hilft nichts, es funktioniert leider so nicht. Wegen Ihrer unsäglichen Dummheit bin ich gezwungen, mein Vorhaben zu ändern. Von nun an bitte ich Sie, jede Initiative gefälligst mir zu überlassen, haben Sie mich verstanden, Hochwürden? Klappe halten und ganz ruhig bleiben, auch wenn Ihnen das als Amerikaner vermutlich schwer fällt. Ich weiß sehr wohl, was Sie mit diesem Fesseltrick im Sinne hatten, aber den Rest überlassen Sie jetzt bitte mir, kapiert! Oder sprechen Sie zufällig arabisch?«
Telly schwieg betroffen und nur wenige Augenblicke später erschütterte der erste Tritt schweren Schuhwerks die Zimmertür.
Hieronymus richtete sich kerzengerade auf und brüllte mit durchdringender und befehlsgewohnter Stimme einige Sätze in arabischer Sprache, worauf draußen vor der Türe erst einmal verblüffte Stille einkehrte.
»Was haben sie denen gesagt?«, flüsterte Telly beeindruckt.
»Wer in drei Teufels Namen es wagt, die Gebete eines Imam auf so unverschämte Weise zu stören und warum beim Barte des Propheten niemand auf die Idee kommt, zumindest erst höflich anzuklopfen und dann einfach die Klinke zu benutzen anstatt die Türe einzutreten. Dann habe ich sie noch darauf aufmerksam gemacht, dass die Ehre Allahs des Allergütigsten durch moslemische Dummköpfe ohne jegliches Benehmen und Anstand mehr gekränkt wird als durch die Verleumdungen eines Ungläubigen. Im Übrigen sollten sie gefälligst hereinkommen und uns aus der unwürdigen Lage befreien, in der uns die Christenhunde bei ihrer feigen Flucht zurückgelassen haben.«
Hieronymus grinste dabei fast so schelmisch wie immer, während er in Tellys Ohr flüsterte.
Draußen war jetzt das Gemurmel mehrerer Männerstimmen zu hören. Dann bewegte sich die Klinke und die Tür wurde weit aufgestoßen. Das erste, was Telly erblickte, waren die Mündungen mehrerer auf ihn gerichteter Maschinenpistolen, dann erst starrte er in die geschwärzten Gesichter eines verwegen aussehenden Haufens philippinischer Piraten, die ihrerseits misstrauisch die beiden seltsamen, aneinander geketteten Gestalten betrachteten. Plötzlich wurden die Terroristen unsanft zur Seite gedrängt und ein auffallend dicker, arabisch aussehender Mann schob sich schnaufend durch die Türöffnung. Er hielt einen verchromten Revolver in der Hand, baute sich herausfordernd vor Hieronymus auf und blickte ihn lauernd an. Hieronymus erwiderte diesen irrlichternden Blick mit beneidenswertem Gleichmut. Zwischen den beiden Männern entspann sich dann ein längerer und erregter Disput, der überraschenderweise damit endete, dass ihnen auf einen Befehl des Dicken hin von einem der Asiaten die Handschellen abgenommen wurden.
Eine Stunde später betraten die beiden das Deck des riesigen Frachters, der längsseits der Insel ›Nazaret‹ festgemacht hatte. Die Mehrzahl der Piraten und Gotteskrieger war mittlerweile damit beschäftigt, die Insel gründlich zu plündern. In dieser Stunde war es Hieronymus tatsächlich gelungen, den dicken Kommandanten, der Imam Zenghi genannt wurde, auf irgendeine Weise davon abzubringen, nach der Ermordung sämtlicher Männer auf ›Nazaret‹ auch noch die Nonnen des Klosterdecks umbringen zu lassen. Es war allerdings nicht zu verhindern gewesen, dass die jüngeren unter den Frauen mehrfach auf das Schändlichste missbraucht und misshandelt worden waren.
Reverend Suntide und Hieronymus Meyrink wurden unter Deck des hochmodernen Schiffes eskortiert, das erst wenige Wochen zuvor in der Strasse von Malakka durch philippinische Piraten und malaysische Islamisten gekapert und entführt worden war. Sie mussten es sich dann wohl oder übel gefallen lassen, in einer relativ geräumigen und komfortablen Kajüte gleich neben der Schiffsmesse eingeschlossen zu werden. Nach einer weiteren Stunde der Ungewissheit machte der Frachter dann endlich die Leinen los, nahm Fahrt auf und lief volle Kraft voraus nach Westen.
Weil sie damit rechnen mussten, dass sie abgehört wurden, beschränkte sich die Unterhaltung der beiden lange Zeit nur auf das Allernötigste. Irgendwann erklärte Hieronymus lapidar, dass nun die Gebetszeit gekommen sei, kniete sich auf dem kleinen Teppich vor der Koje nieder und begann lautstark in arabisch mit der Rezitation der Fatiha, der ersten Sure des Koran.
Eine gute Stunde später wurde die Tür aufgeschlossen und
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