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Das Nazaret-Projekt

Das Nazaret-Projekt

Titel: Das Nazaret-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Hanf
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er die stählerne Acht einfach in seine Jackentasche und setzte seinen Spaziergang fort. Er hatte zwar keineswegs beabsichtigt, ausgerechnet Handfesseln zu klauen, aber die Dinger jetzt nachträglich zurückzugeben erschien ihm doch in diesem Moment weitaus peinlicher.
    Nachdem das Wetter ausnahmsweise einmal klar und sonnig war, fuhr Telly mit dem Lift zum Oberdeck hinauf und ging hinaus ins Freie, um ein wenig die frische, kalte Luft und den Ausblick über das nordische Meer zu genießen.
    Während er bewegungslos dort oben im Wind stand und wie König Herodes von den Zinnen seiner Burg herabschaute, war unter Deck bei den Männern Jablonskys hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Schwer bewaffnete Söldner mit Funksprechgeräten und Stahlhelmen eilten durch die Gänge und besetzten strategisch wichtige Verteidigungspositionen und gut getarnte Gefechtsstände, die wie gepanzerte Schwalbennester an den Außenseiten der dreieckigen Insel klebten und mit modernsten Schnellfeuerkanonen bestückt waren. Eine Anzahl Kampfschwimmer machte sich tauchfertig und verschwand durch die Einstiegsluken in die Wartungsschächte der drei hohlen Standbeine Nazarets, um nach unten zu klettern und kurz vor den in Höhe der Wasserlinie liegenden Schotts auf weitere Befehle zu warten.
    Noch während der Reverend versonnen nach Nordwesten blickte, also in jene Richtung, in der vor wenigen Stunden die ›Archenoah‹ verschwunden war, tauchten am Horizont die typischen Aufbauten eines großen Frachtschiffes auf.
    Der Riesenpott schien ordentlich Fahrt zu machen, denn es dauerte gar nicht sehr lange, bis dessen Ausmaße mit bloßem Auge zu erkennen waren. Das fremde Schiff lief eindeutig auf Kollisionskurs und Telly begann sich zu fragen, ob der Kapitän entweder vorhatte, längsseits der Insel anzulegen oder ob sein Steuermann mit offenen Augen schlief und sich gar eine Katastrophe anbahnte.
    Als die Entfernung auf höchstens eine halbe Seemeile geschrumpft war, schien der fremde Skipper endlich zu reagieren. Der Frachter verlor plötzlich rapide an Fahrt, stoppte dann und ging schließlich vor Anker. Telly bildete sich ein, das Rasseln der schweren Kette noch aus dieser Entfernung über das Wasser hören zu können.
    Der Sinn dieses Manövers war dem Prediger absolut unklar, und da über längere Zeit nichts weiter zu beobachten war als die Tatsache, dass der riesige Frachter sich an seiner Ankerkette liegend langsam in den Wind drehte und nun der Insel in voller Länge seine Backbordseite zeigte, beschloss Telly, wieder unter Deck zu gehen. Trotz des Sonnenscheins war die Luft eisig und er hatte leicht zu frieren begonnen; außerdem hatte er vor, sich noch einmal die Videoaufzeichnungen seiner Predigten anzusehen, die für die sonntäglichen Ausstrahlungen seines Bibelsenders in Amerika bestimmt waren. Wirklich mitreißend fand Telly ohnehin nur die ersten seiner hochemotionalen Ansprachen an seine Gemeindemitglieder und ungezählten Anhänger in den USA, als er noch einigermaßen überzeugt vom Erfolg der Brock’schen Mission gewesen war. Die späteren Aufzeichnungen waren dann entsprechend halbherzig nur mehr aus dem Grunde entstanden, weder den Großmeisters noch seine geklonte Kreatur mit der Nase darauf zu stoßen, dass der geschätzte Prediger längst zum Ungläubigen und heimlichen Verräter an dem Projekt ›Nazaret‹ geworden war.
    Also begab er sich hinunter in den Schneideraum des TV-Studios, wo er zu seiner Überraschung Enzo Berlusconi und seine Crew in höchster Aufregung antraf.
    »Hochwürden Suntide, haben Sie schon die allerneuesten Nachrichten gehört? Nein? Kommen Sie, setzen Sie sich. Das müssen Sie unbedingt sehen! Wir hätten nicht für möglich gehalten, dass die Rache Gottes unsere Feinde so schnell und so hart treffen würde! Sehen Sie selbst, wie fürchterlich seine Strafen sein können!«
    Berlusconi wirkte beinahe euphorisiert. Mit einem Knopfdruck startete er die Aufzeichnungen und vor Tellys verwunderten Augen erwachten gleichzeitig zwei übereinanderstehende Bildschirme zum Leben. Auf einem lief ein Bericht der amerikanischen Agentur CNN und auf dem anderen der Beitrag des arabischen Senders Al-Dschasira. Die Stimmen der Moderatoren auf beiden Kanälen überschlugen sich gleichermaßen bei dem unmöglichen Versuch, die Bilder des Grauens zu kommentieren, die den Prediger unvermittelt ansprangen und ihn leichenblass und stumm vor Entsetzen werden ließen. Das Bild auf CNN wechselte zu einem

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