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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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noch nicht. Ich arbeite mich Stück für Stück voran. Da die Waffe verloren gegangen ist, könnte er sie irgendwo gefunden haben, oder jemand hat sie ihm arglos gegeben.«
    »Man hat die Pistole bei Leonie Korn gefunden, neben ihrem bewusstlosen Körper. Sie hat das Ding mitgebracht, und sie hat es abgefeuert. Ich glaube, die Pistole ist nie verloren gegangen, das hat Leonie sicher nur erfunden. Sie war krank im Kopf, alle sagen das.«
    »Leonie war extrem launisch und leicht zu verärgern, und als Kindergärtnerin war sie untauglich, so viel steht fest. Das macht aus ihr jedoch weder eine Verrückte noch eine Mörderin, und die bloße Aneinanderreihung von Indizien …«
    Er wandte sich von mir ab und entfernte sich ein paar Schritte. »Ich werde dir nicht länger zuhören.«
    »Das war von Anfang an nicht deine Stärke. Kann es sein, dass du dich nur deshalb auf mich eingelassen hast, um meine Recherchen zu beeinflussen? Immerhin, du hast das Schloss am Schuppen angebracht, du bist meinen Fragen über Yasmin ausgewichen, und du hast bei unserem ersten Treffen einen Streit vom Zaun gebrochen, um das Interview zu beenden. Sei ehrlich, findest du nicht, das riecht ein bisschen nach Manipulation?«
    »Jetzt drehst du völlig durch.«
    »Ich stelle nur Fragen.«
    »Deine Fragen sind Nadeln, die du abschießt. Merkst du nicht, wie weh du mir damit tust?«
    Nun war ich es, die kurzzeitig nichts zu erwidern wusste. Yim hatte genau den richtigen Ton getroffen, genau die richtigen Worte gefunden, um meine lebhafte, überbordende Diskutierfreude augenblicklich zu betäuben. Ich hatte tatsächlich die schlechte Angewohnheit, meiner sonstigen Verbindlichkeit zum Trotz messerscharfe Fragen zu stellen, die Behauptungen glichen, aber formell keine waren. So konnte ich jederzeit behaupten, nur Fragen gestellt zu haben, und sagen, das sei ja wohl noch erlaubt.
    Mit einer Behauptung und einer Gegenbehauptung, einer Anklage und einer Verteidigung kann man ein Duell mit gleichen Waffen ausfechten. Die in eine Frage gekleidete Behauptung hingegen gleicht einem Gegner mit einer Tarnkappe. Das ist eine komfortable Situation und daher bei Journalisten äußerst beliebt. Fair ist es nicht.
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Das hat bereits auf dem Zettel gestanden, den du mir auf Hiddensee hinterlassen hast, jene Insel, auf die ich dich eingeladen habe. Es stimmt, ich habe das Schloss angebracht, damit du die Gemälde meiner Mutter nicht siehst. Meine Gründe kennst du. Und ich habe dir verschwiegen, wo Yasmin wohnt, weil ich nicht wollte, dass du sie belästigst. Gut, das darfst du mir vorwerfen. Aber was uns beide angeht, dich und mich …« Ihm versagte die Stimme. Kurz darauf fuhr er fort: »Ich habe mich schon bei unserer ersten Begegnung zu dir hingezogen gefühlt, auch wenn ich mich anfangs über dich geärgert habe. Warum hätte ich sonst mitten in der Nacht bei dir angerufen und mich entschuldigt? Und danach … Ja, ich wollte mit dir ein paar schöne Tage verbringen, um dich besser kennenzulernen und … na ja, um dich und für mich zu werben. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühle, wenn du das alles in den Dreck ziehst und mich verdächtigst, dass ich das alles nur getan habe, um dich zu manipulieren?«
    Er drehte sich blitzschnell um und ging fort, weshalb ich zuerst gar nicht reagierte. Als ich mich wieder fing, lief ich hinter ihm her, aber Yim war bereits auf der anderen Seite der belebten Straße, und nur einen Augenblick später sah ich ihn nicht mehr.
    »Das hast du ja mal wieder super hinbekommen, Doro«, flüsterte ich.
    Plötzlich fühlte ich mich müde – nicht körperlich, sondern geistig. Ich kannte diesen Zustand nur zu gut: sehr viel Arbeit, Termindruck, eine gewisse Perspektivlosigkeit und Leere, dazu der immer gleiche Alltag, das Hamsterrad … Seit ich an dem Amoklauf von Hiddensee arbeitete, war es bergauf gegangen. Ich hatte mich viel frischer gefühlt und dies natürlich darauf zurückgeführt, dass ich zum ersten Mal engagiert recherchierte und nicht einfach bloß einen Prozess beobachtete und widerspiegelte.
    Nun erkannte ich, dass auch Yim großen Anteil daran hatte, vielleicht sogar den wesentlichen. Seit dem Abend, als er mich in seinem Restaurant bekocht hatte, war er ein wichtiger Teil meines Lebens geworden, ohne dass ich mir das eingestanden hatte. Selbst als ich Hiddensee überstürzt verlassen hatte, war ich mir insgeheim darüber im Klaren gewesen, dass ich Yim wiedersehen würde. Diese

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