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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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ein Übriges. Dieser schwitzende, kleine Mann im weißen Hemd, der mir gegenübersaß, machte mir nichts mehr vor. Ich roch seine Angst, und seine niedrige Gesinnung stand ihm in den Augen.
    »Sie glauben gar nicht, wie sehr ich bedaure, was ich vor langer Zeit getan habe«, begann er. »Ich leide unter heftigen Alpträumen. Ich höre Schreie, wo keine sind. Manchmal bin ich tagelang nicht in der Lage, etwas zu essen. Meine Schuld holt mich immer wieder ein. Bitte bedenken Sie, dass ich damals jung und dumm war, ich habe mich von den Roten Khmer begeistern lassen, wie so viele andere. Sie als Deutsche müssten wissen, wovon ich rede, wie so etwas vonstattengeht.«
    »Ich hätte mir denken können, dass Sie diese Karte ausspielen. Und ich gebe Ihnen recht – ich weiß tatsächlich, dass ganze Völker sich zum Bösen hinreißen lassen können. Individuen fühlen sich nun einmal unter Gleichgesinnten wohler, und so greift der Wahn um sich. Ich weiß aber auch, dass man für seine Taten die Verantwortung übernehmen muss. Irren ist menschlich, jedoch nicht straffrei. Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen einem Jungspund, der den Mördern zuwinkt, ihre Ideologie übernimmt und ihnen vielleicht einige Hilfsdienste leistet, und einem über Dreißigjährigen, der ein Mordlager leitet. Sie haben Tausende von Menschen gefoltert und auf grausamste Weise getötet, und ich will gar nicht wissen, welche sadistischen Spielchen Sie vorher mit ihnen getrieben haben.«
    Ich war heftig geworden. Während ich einen Schluck Wasser trank, gewann ich meine Fassung einigermaßen zurück.
    »Ich bin ein alter Mann«, sagte er. »Ich kann mich kaum noch an den Burschen erinnern, der ich mal war. Ich habe mich geändert, Frau Kagel.«
    Immer wieder suchten seine Augen den Kontakt zu Yim, doch der blickte beharrlich auf den Tisch.
    »Sie haben sich also geändert, sind ein neuer Mensch geworden, ja? Bitte sagen Sie mir, warum Ihre Frau in der Sturmnacht von Hiddensee zum Nebelhaus gelaufen ist.«
    »Was hat denn das damit zu tun?«, fragte Herr Nan, und auch Yim sah verwundert auf.
    »Herr Nan, wenn Sie möchten, dass wir das Gespräch fortsetzen, beantworten Sie bitte meine Frage.«
    »Sie hat mitgeholfen, genau wie ich, das kleine Mädchen zu suchen, das vermisst wurde. Meine Frau hat die Kleine gerne gemocht.«
    »Wie haben Sie davon erfahren?«
    »Das ist so lange her … Vermutlich über das Telefon. Ja, jetzt weiß ich es wieder. Jemand hat uns angerufen.«
    »Ich habe eine Aussage von Yasmin Germinal, dass man im Nebelhaus zwar versucht hat, Sie und Ihre Frau zu erreichen, aber dass es nicht möglich war. Die Telefonleitungen waren längst gestört, als man Clarissas Verschwinden bemerkte.«
    »Das Handy, es muss ein Anruf auf dem Handy gewesen sein.«
    »Nur besitzen Sie kein Mobiltelefon, wie mir Yim erzählt hat. Sie halten nicht viel von den Dingern.«
    »Dann hatte Yim seines zu Hause vergessen. So war es.«
    »Ich glaube etwas ganz anderes. Ich glaube, Ihre Frau war dabei, sich von Ihnen zu lösen, vielleicht sogar sich selbst und Sie anzuzeigen. All diese Gemälde im Schuppen … Yasmin Germinal erzählte mir, dass Ihre Frau dort ein langes Gespräch mit Timo Stadtmüller geführt hat, dem Autor. Sie bekamen es mit der Angst zu tun. Hatte ein Außenstehender von Ihren Verbrechen erfahren? Mehr noch als die juristische Verfolgung fürchteten Sie die Verfolgung durch die Wahrheit, die Sie so geflissentlich von sich fernhielten. Den Schuppen verbargen Sie in einem Sarkophag aus Blumen, so wie Sie vermutlich alles, was Sie an Ihre Verbrechen erinnert, in den letzten dreißig Jahren bedeckt oder beseitigt haben. Das Letzte, was Sie bisher nicht beseitigt hatten, war Ihre Frau.«
    »Nein … Nein.«
    »Die Schande, als Massenmörder gebrandmarkt zu werden, war für Sie eine unerträgliche Vorstellung. Die Einzelheiten dessen, was in der Sturmnacht in Ihrem Haus passiert ist, sind mir nicht bekannt, aber ich glaube, es kam zu einer Eskalation. Ihre Frau lief vor Ihnen davon, mitten in den Sturm hinein, und Sie verfolgten sie. Sie haben Ihre eigene Frau niedergeschlagen, und danach sind Sie zum Nebelhaus gegangen.«
    »Nein … Nein, nein, nein.«
    Ich wandte mich Yim zu. »Hast du an jenem Abend dein Handy im Haus deiner Eltern vergessen?«
    Yim sah erst mich an, dann seinen Vater. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder. Meine Hand lag erneut auf seinem Schenkel. Ich konnte nur raten, was in ihm vorging. Er sah sich mit

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