Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
Vom Netzwerk:
Wir schliefen miteinander, und es wurde die schönste Stunde für mich seit Jahren.
    Um Punkt zwei Uhr zwölf nahm ich die Zeit wieder wahr. Mein Blick fiel zufällig auf den Wecker, und ich bedauerte sofort, zurück zu sein in der normalen Welt. Yim holte mich noch einmal zu sich, zog mich heran. Vielleicht klingt es kitschig oder abgedroschen, aber tausend Glocken läuteten in mir, als ich ihm in die Augen sah. Wann hatte ich zum letzten Mal so gefühlt? Die Antwort fiel mir leicht: noch nie. Du oder keiner, dachte ich.
    Doch mit jeder Minute wurde mir klarer, welche Konsequenzen sich aus diesem Selbsteingeständnis ergaben. Von nun an war ich verletzbar, über ein normales Maß hinaus. Ich hatte mich Yim emotional verschrieben, und das war nicht anders, als wenn ich durch Nervenstränge mit ihm verbunden gewesen wäre. Im Moment war das ein Glückszustand …
    Aber schon ein paar Minuten später – gewissermaßen nach der Zigarette danach, die in unserem Fall ein Glas Sekt war – blinkte mich die Kehrseite der Medaille an.
    Yim fragte: »Tust du mir einen Gefallen?«
    »Natürlich.«
    »Mein Vater möchte mit dir sprechen. Er lässt dir ausrichten, dass er … Du sollst ihn nur anhören. Um mehr bittet er nicht. Er ist eigens deswegen von Hiddensee nach Berlin gekommen.«
    Ich seufzte ob des lästigen Themas, das in mein Bett einbrach. »Was verspricht er sich davon?«
    »Na, was wohl. Er wird dich zu überzeugen versuchen, ihn nicht den Behörden zu melden.«
    »Was ist mit dir, Yim? Stehst du auf seiner Seite?«
    »Ich habe nie auf seiner Seite gestanden. Ich habe dir nur alle Konsequenzen vor Augen geführt, die deine Entscheidung – auch für mich – haben würde.«
    Ein scheußlicher Verdacht keimte in mir auf: dass Yim mich absichtlich umgarnt hatte, nur damit ich seinen Vater sozusagen begnadigte. Ich zertrat den Gedanken auf der Stelle.
    »Also gut, meinetwegen. Wann?«
    »Er wartet in meinem Restaurant auf uns.«
    »Jetzt gleich?«, rief ich. Die Vorstellung, dass Herr Nan die ganze Zeit, während ich mit Yim geschlafen hatte, an mich gedacht hatte, behagte mir nicht. »Es ist bald halb drei.«
    Yim drängte mich nicht weiter. Er schwieg. Aber ein Blick in seine Augen erweichte mich.
    Ich konnte ihm die Bitte nicht abschlagen. Nicht mehr jedenfalls.
    »Ich will auf keinen Fall mit ihm allein sein. Du bleibst während des Gesprächs bei mir, ja?«
    »Unbedingt.«
    »Bringen wir es hinter uns.«
    Obwohl der Deckenventilator im Sok sebai te unermüdlich arbeitete, schien die schwüle Luft zu stehen. Herr Nan saß im hintersten Eck, beinahe verborgen zwischen Trennwänden, Tischen, Stühlen und Lampen. Er erinnerte mich an eine Muräne, an irgendetwas Gemeines, das auf der Lauer liegt. Bei dem Gedanken, dass ich Zimmer an Zimmer mit diesem Mann geschlafen hatte, stolperte mein Herzschlag, und ich war froh, Yim an meiner Seite zu haben. Herr Nan starrte mich an. Er rang sich ein Lächeln ab, das mich abstieß, und streckte mir die Hand entgegen, die ich ignorierte.
    Yim holte eine Karaffe stilles Wasser und drei Gläser. Dass er sich dafür ein paar Schritte vom Tisch entfernen musste, ließ mich bereits unruhig werden. Er setzte sich neben mich, nicht neben seinen Vater, wofür ich ihm einen dankbaren Blick zuwarf. Meine Hand legte ich auf seinen Oberschenkel.
    »Hier bin ich«, sagte ich zu Herrn Nan. »Ich will stark hoffen, dass Sie nicht versuchen werden, Ihre furchtbaren Verbrechen kleinzureden. In diesem Fall stehe ich sofort auf und gehe.«
    Seine Hände rangen miteinander.
    Im Sok sebai te bekam Viseth Nan etwas Authentisches. Wenn ich mir ihn auf Hiddensee, in der kleinen Küche und im Garten vorstellte, fiel es mir viel schwerer, in ihm den Massenmörder zu sehen, der er war. Dieses Phänomen kannte ich bereits von anderen Verbrechern. In einem dunkelblauen Anzug auf der Anklagebank war ein jeder Mörder so weit weg von seiner Tat, dass er damit fast nichts mehr zu tun zu haben schien. Auch die behördliche Nüchternheit deutscher Gerichtssäle, ebenso wie die Pracht so manches französischen oder englischen Gerichtssaals, trugen zur Verfremdung bei. Dazu die Zuschauer, die Medienvertreter, der ganze Rummel – es brauchte oft eine starke Imaginationskraft, um den Mörder am Werke zu sehen.
    Im kambodschanischen Ambiente, mit dem Mekong im Hintergrund, war Herr Nan dorthin zurückgeworfen, wo er vor fast vierzig Jahren gewütet hatte. Frau Nans Gemälde, die sich mir eingebrannt hatten, taten

Weitere Kostenlose Bücher