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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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den Jahren. Er ist ein muskulöser Kerl, ganz nett anzusehen. Wir haben eigentlich nur Hallo und Tschüss zueinander gesagt, ich habe nie richtig mit ihm geredet. Leonie hat andauernd von ihm gesprochen, Steffen hier und Steffen da. Ich hatte trotzdem nicht den Eindruck, dass die beiden gut zueinander passten, aber das ging mich nichts an. War es das?«
    »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Auf Wiederhören.«
    Ich hatte die Kindergärtnerin nach Steffen Herold gefragt, weil dieser Mann für mich noch immer ein Phantom war, denn er meldete sich nicht auf meine Anrufe hin. Zwei Nachrichten hatte ich ihm auf Band gesprochen, danach hatte er seinen Anrufbeantworter wohl ausgeschaltet. Auf den Trick mit der Rufnummernunterdrückung war er leider nicht hereingefallen, was bedeutete, dass ich nicht an ihn herankam. Vielleicht hatte er einfach genug von dem Rummel. Andererseits erschien er in keinem der Protokolle und auf keiner der Recherchelisten, konnte also kaum des Öfteren von der Presse belästigt worden sein. Wollte er mit dem Kapitel Leonie abschließen, weil es ihn zu sehr mitnahm? Oder war er im Gegenteil so kaltherzig, wie Margarete Korn ihn beschrieben hatte, und ihm war Leonies Schicksal völlig egal? Was war er für ein Mensch? Wie war er mit Leonie umgegangen?
    Ich schickte ihm eine SMS , in der ich ihn um ein Gespräch bat. Meine journalistische Spürnase sagte mir, dass ich unbedingt mit Steffen Herold reden musste. Ich hatte, was ihn betraf, dasselbe Gefühl wie bei dem Schuppen: ein Schlüssel zum Verständnis eines Menschen, wenn auch noch im Dunklen. Der Schuppen würde ein Geheimnis über Frau Nan enthüllen, daran zweifelte ich keine Sekunde. Die Reaktion des Witwers auf mein versuchtes Eindringen hin sprach Bände. Wenn es sein Schuppen war, wieso ließ er die Tür dann langsam zuwachsen? Nein, Frau Nan hatte diese Tür einst benutzt, und nach ihrem Tod sollte sie für immer verschlossen bleiben.
    Steffen Herold war – metaphorisch gesehen – auch eine solche Tür, die ich aufstoßen wollte, aufstoßen musste.
    Und dann gab es da noch zwei weitere Tote, über die ich schreiben wollte. Der Fall reizte mich immer mehr. Wenn ich bedachte, dass ich die Arbeit noch kürzlich hatte abgeben wollen, und nun entwickelte sie sich zu etwas Beherrschendem …
    Ohne darauf zu achten, war ich während des Telefonats mit der Kindergärtnerin ein bisschen herumgelaufen, hatte das Grundstück der Nans verlassen und ein kleines Birkenwäldchen, nicht größer als ein Fußballfeld, durchquert. Erst danach merkte ich, dass ich dicht ans Nebelhaus herangekommen war. Das Birkenwäldchen grenzte seitlich an den Glaspalast, und als ich mich ihm weiter näherte, stolperte ich beinahe über einen Grabhügel.
    Verwundert sah ich auf ihn herab. Er war so lang und breit, als hätte jemand einen Kindersarg in der Erde versenkt. Das Grab war ungepflegt, allerlei Grün spross aus der Erde, und ein Holzkreuz, ungelenk aus miteinander verflochtenen Zweigen gebaut, neigte sich schief wie das Männlichkeitssymbol zur Seite. Ein Foto war daran befestigt. Ich kniete mich auf den Waldboden und nahm es in die Hand, doch leider war es fast völlig verwaschen. Die Plastikhülle, in der es steckte, war undicht, Regenwasser war eingedrungen. Ich konnte nur noch erkennen, dass es vor einem Blumenhintergrund aufgenommen worden war. Das eigentliche Objekt war von der Zeit und dem Wasser zersetzt worden.
    Traurig und neugierig zugleich schweifte mein Blick erneut über die aufgeworfene Erde.
    In diesem Moment hörte ich hinter mir einen Zweig knacken.

12
    September 2010
    Durch das geschlossene Fenster drangen die Geräusche eines beginnenden Familienausflugs in Timos Zimmer: die Klingeln der Fahrräder, klapperndes Blech, Lachen, ein paar Stimmen, hast du dieses dabei, möchtest du jenes mitnehmen … Zwei Räder blieben unbesetzt, das von Vev und das Leihrad, das für ihn gedacht war. Im letzten Moment hatte er abgesagt. Er war ehrlich gewesen, als er behauptete, schreiben zu wollen, weil ihm eine Geschichte nicht aus dem Kopf ging. Wenn die ersten Sätze entstanden, wenn die Figuren zu reden anfingen, dann gab es für ihn kein Wetter, ebenso wenig wie Anstandsregeln. Schreiben war in solchen Stunden das Köstlichste in seinem Leben, wie Liebe, wie Lust, wie Rausch. Menschen, die nicht schrieben, hatten ihn noch nie verstanden. Sie wurden ja von der Sonne gelockt, von der Natur, einem erfrischenden Bad, einem geselligen

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