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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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flehentlichen Schildern aus gelbem Blech behängt war. Vev setzte sich darüber hinweg, indem sie die Hose bis zum Knie hochkrempelte und die Absperrung auf dem Wasserweg umging – immer mit Timo im Gefolge. Zwischendurch lachte sie, als genieße sie es, der Nationalparkverwaltung und den Uferschwalben ein Schnippchen zu schlagen. Sie gingen noch etwa zweihundert Meter und kamen an eine schmale Bucht, die von eigentümlich gekrümmten Fichten gesäumt war. Das Wasser gurgelte zwischen Steinen und Bruchholz.
    »Ich war noch nie mit einem anderen Menschen hier«, sagte Vev.
    »Auch nicht mit Philipp?«
    »Mit ihm schon dreimal nicht. Mal abgesehen davon, dass er es verabscheut, Verbotenes zu tun, brauche ich einen Ort für mich allein. Selbst Clarissa habe ich nie hierher mitgenommen.«
    Die winzige Stelle, die paar Quadratmeter Strand, die steil abfallende Düne im Rücken, das seicht plätschernde Meer vor Augen – Vev konnte sich hier als Eigentümerin fühlen, als Herrin über den Sand und das Gras. Die Bucht gehörte gewissermaßen ihr, nicht der Gemeinde. Vev hatte sie sich angeeignet. Genoveva Bay.
    »Zieh dich aus«, sagte sie. »Wir erfrischen uns im Meer.«
    »Aber ich … ich habe nichts dabei.«
    »Wer fährt denn ohne Badehose auf eine Insel?«
    »Schriftsteller.«
    »Du lieber Himmel. Du hast doch wenigstens eine Unterhose an?«
    »Ja, schon …«
    »Na bitte, das genügt mir völlig.«
    Unter Shirt und Hose trug Vev einen schwarzen Badeanzug, in dem sie einfach umwerfend aussah. Ihr Kleidungsstil war zwar nicht gerade originell – alles schwarz –, aber er passte zu ihr.
    Sie schwammen ein Stück ins Meer hinaus. Timo hatte das Bedürfnis, ein bisschen anzugeben, und zeigte seinen besten Kraulstil.
    »Du schwimmst hervorragend, sehr schnell. Du könntest Philipp schlagen.«
    »Und ihn mir zum Feind machen?«
    Sie lachte. »Ja, so würde es wohl kommen. Philipp hasst es, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er es sich vorstellt. Allerdings kannst du nicht mehr viel kaputtmachen, Timo. Er kann dich schon jetzt nicht leiden.«
    »Also doch. Wegen Yasmin?«
    »Er braucht keinen Grund. Er hat dich nicht der alten Zeiten wegen eingeladen oder gar weil er dich mag.«
    »Nun bin ich gespannt. Wieso dann?«
    Sie unterhielten sich, während sie wie zwei Korken auf den Wogen trieben, am privatesten Ort auf der Welt, wo jedes Wort, beschwert von der Einsamkeit, auf den Meeresgrund sank. Niemals würden sie dieses Gespräch an Land fortsetzen oder wiederholen, sie würden bei Bedarf so tun können, als hätte es nie stattgefunden. Darüber waren sie sich einig, ohne es zu verabreden.
    »Weil er sich gerne präsentiert, um es mal höflich auszudrücken.« Sie imitierte Philipps Art zu sprechen: »Das hier ist mein Haus, meine Frau, mein Leben. Alles selbst konzipiert. Und natürlich aus Glas, damit jeder meinen Erfolg sehen kann. Was machst du noch mal? Ach ja, Bücher schreiben. Verkaufen sie sich gut? Nein? Oh, wie schade. Übrigens, möchtest du lieber in der Fürstensuite oder im Louis-Seize-Gemach schlafen?« Vev wechselte wieder in ihren normalen Tonfall. »Tu nicht so, als ob dich das nicht angekotzt hätte.«
    »Na gut, es hat mich gestört.«
    »Angekotzt hat es dich.«
    »Warum hast du damit angefangen?«
    »Was hast du denn da?«, wechselte Vev das Thema. Sie deutete auf ein Tattoo, dessen graublaue Ornamente sich wie eine Kette um Timos dünnen Oberarm schlangen. Dazwischen waren asiatische Schriftzeichen, deren Bedeutung er vergessen hatte.
    »Ich habe es mir am Tag nach meinem ersten Sex stechen lassen. Ich war damals zwanzig.«
    »Echt? Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, für heutige Verhältnisse.«
    »Ich bin eben ein Spätzünder. Ich brauche immer etwas Zeit.«
    »Nicht, wenn du auf Schornsteine kletterst. Du hast die sexuelle Zündung damals also mit einem Tattoo gefeiert, ja?«
    »Idiotisch, ich weiß.«
    »Immerhin«, sagte sie, »es gibt Idiotien, die gar nicht schlecht aussehen.« Sie betastete seinen Arm wie die Auslage einer Boutique. Dabei kam sie Timo so nah, dass ihre im Wasser strampelnden Beine sich berührten, ineinanderwanden. »Gefällt mir.«
    Zurück am Strand, warf sie ihm ein Handtuch zu, und während sie sich abtrockneten, ahnte Timo ihren Blick auf seinem Rücken. Er fühlte sich ein bisschen unwohl, nicht wegen des Blicks an sich, sondern weil er seinem Körper nicht zutraute, sie beeindrucken zu können. Er war sehr schlank, wenn auch nicht gerade knochig, und

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