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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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Frau Nans Sachen darin lagerte.
    Ich bog also einige Triebe zur Seite und versuchte, das Tor aufzudrücken. Da erst sah ich den rostigen Riegel. Er war so alt und massiv und steckte so fest in der Halterung, dass ich Mühe hatte, ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Kein Wunder, dass Herr Nan darauf verzichtet hatte, ihn durch ein Vorhängeschloss zu sichern; war die Sperrigkeit des Riegels doch eine bessere Sicherung als jedes Vorhängeschloss, das ein Profi in Nullkommanichts mit einer Brechzange geknackt hätte. Ich war bereits fix und fertig, als ich ihn noch nicht mal halb zurückgeschoben hatte.
    »Jetzt geh schon auf, du blödes Ding«, fluchte ich.
    Noch eine volle Minute machte ich daran herum, dann öffnete er sich unter lautem Protest mit einem Ruck. Ich quetschte mir dabei den Zeigefinger ein, aber das Erfolgserlebnis ließ mich den Schmerz schnell vergessen.
    Vorsichtig zog ich das Tor auf, das Knarren eines ganzen Jahrhunderts im Ohr und Staub auf den Fingerspitzen. So ähnlich musste sich Howard Carter gefühlt haben, als er die Mauer zu Tutenchamuns Grab durchbrach. Ich erwartete einen fauligen Geruch, den feuchten Atem von Schimmel und die dumpfe Bewegungslosigkeit eingesperrter Luft, die Mixtur des Verfalls. Was mir jedoch in die Nase stieg, war beißend scharf, aggressiv. Was war das? Ein Insektizid? Petroleum? Synthetische Farbe? Lösungsmittel? Von allem etwas?
    Ich tastete nach dem Lichtschalter. Irgendwo musste es ja einen geben, links oder rechts neben der Tür, denn der Schuppen hatte nur ein einziges winziges Fenster in ungefähr zwei Metern Höhe, das ein klein wenig Tag in die Düsternis brachte. Das Glas war grau vom Staub und grün von etwas, das ich mir lieber nicht genauer vorstellen wollte.
    Ich hatte den Schalter gefunden, er war noch von der Sorte, die man drehen musste. Gerade als ich ihn mit Daumen und Zeigefinger umschloss, fiel mir jemand von hinten in den Arm.
    »Nein, halt!«, rief Herr Nan und tat mir, vermutlich unabsichtlich, ein bisschen weh mit seiner Aktion. »Das hier nicht. Nichts für Sie. Haben Sie verstanden?«
    Wir standen dicht beisammen im Türrahmen, auf der einen Seite die Finsternis, auf der anderen die Blumenranken, links ein in der Kehle brennender Gestank, rechts das schwere Parfüm des Augusts. Und direkt vor mir dieser kleine, alte Mann mit den schwarzen Knopfaugen.
    »Das dürfen Sie nicht. Lassen Sie das.«
    »Ich habe verstanden«, antwortete ich, leicht benommen vor Schuldbewusstsein.
    »Privat. Verstehen Sie? Privat.«
    »Ja, natürlich. Es tut mir leid, ich …« Ich fühlte mich wie ein bei einer Missetat ertapptes Kind – einerseits beschämt, andererseits enttäuscht, mein Ziel nicht erreicht zu haben.
    »Kein Zutritt.«
    »Es wird nicht wieder vorkommen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass … Entschuldigen Sie, wenn ich Sie verärgert habe. Das wollte ich nicht. Ich habe mir nichts dabei gedacht, es ist ja nur ein alter Schuppen – und so schön bepflanzt, wirklich hübsch. An Ihnen ist ein Gärtner verloren gegangen. Oder waren Sie mal Gärtner?«
    Er sah mich wortlos an, während ich überlegte, wie ich aus der Situation wieder herauskommen sollte, und zwar möglichst unbeschadet, denn ich wollte nicht, dass er sich bei Yim über mich beschwerte. Mein in aller Eile entworfener Plan sah vor, ihn mit Komplimenten wegen seines Gartens zu überhäufen. Aber dann klingelte mein Handy.
    »Verzeihen Sie, ich muss da rangehen.«
    »Gehen Sie. Gehen Sie raus.«
    Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich trat wieder in den Tag hinaus und zückte das Telefon, wobei ich Herrn Nan ein letztes Lächeln samt zuvorkommendem Nicken schenkte. Doch er wandte sich ohne eine Reaktion dem Riegel zu, den er hektisch und mit großer Gewalt in seine ursprüngliche Position zurückschlug.
    »Kagel.«
    »Guten Tag, Frau Kagel, mein Name ist Arielle Meißner. Sie hatten mir gestern wegen Leonie Korn eine Nachricht aufs Band gesprochen.«
    »Oh, ja … äh … ja, das stimmt.«
    Ich hatte Mühe, mich auf das Gespräch einzustellen. Eben noch war ich in einem düsteren Schuppen herumgetapst und von Herrn Nan überrascht worden, der mir ein bisschen Angst gemacht hatte mit der feindseligen Aura, die ihn umgab. Jetzt drang mir das heitere, lebensfrohe Quietschen spielender Kleinkinder ins Ohr. Von der ermordeten Frau Nan schwenkte ich innerhalb einer Sekunde zur Mörderin Leonie Korn.
    »Danke, dass Sie zurückrufen, Frau Meißner. Leonie Korn war bei Ihnen angestellt,

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