Das Nest des Teufels (German Edition)
Pferdekoppel ging, erkundigte sich Maija, was das Mädchen über seine Herkunft wusste, und wunderte sich, wie man einem Kind solche Dinge überhaupt erklären konnte. Aber Vanamo fand es ganz normal, dass ihr Vater nicht da war. So hatte ich es als Kind ebenfalls empfunden. Auch die Sehnsucht nach meiner Mutter, die in einer Weltraumkapsel in den Himmel geflogen war, hatte sich allmählich gelegt.
Wenn Mike Virtue mich noch einmal fragte, wann ich zuletzt glücklich war, würde ich sagen, mit Vanamo in Hevonpersii. Wir verbrachten Stunden damit, in der Sauna zu schwitzen und im kühlen Wasser zu schwimmen, wir grillten auf dem Hof Würstchen und süße Zwiebeln und wärmten Maijas Kartoffelpiroggen auf. Wir tranken Zitronenlimonade, die Vanamo nur an Festtagen bekam. Ich zeigte ihr die Bäume, auf die Frida gern geklettert war, und ließ die schon ein wenig leiernde Abba-Kassette von Onkel Jari laufen. Vanamo brachte mir bei, wie man einen französischen Zopf flechtet.
«Trägst du die Haare immer kurz?», fragte sie.
«Ja. Bei meiner Arbeit ist das praktischer. Aber ich kann mir ein Haarteil besorgen, wenn du Frisörin spielen willst.» Plötzlich musste ich an Suzy denken, die Rodeoreiterin mit den blonden Locken, die ich Paskewitsch vorgespielt hatte. Natürlich würde er mich als Anita Nuutinens Leibwächterin wiedererkennen, aber er würde mich hoffentlich nicht mit Suzy und mit der Schwarzhaarigen in Verbindung bringen, die sich als Juris Freundin ausgegeben hatte. Juri würde von seinem Vater natürlich spöttische Bemerkungen zu hören bekommen, weil sich seine Freundin auf der Hochzeit von Syrjänen und Julia nicht blicken ließ.
Wir schliefen zehn Stunden lang. Vanamo genoss es, dass niemand zum Melken aufstand. Sie half oft dabei, weil sie so gern bei den Kühen war. Als ich mich anschickte, das Frühstücksgeschirr zu spülen, sagte sie, sie wolle am Waldrand Siebensterne suchen und einen Strauß für Fridas Grab pflücken.
«Wenn man sie in Wasser stellt, halten sie einen Tag», erklärte sie. «Bestimmt mag Frida weiße Blumen.»
Als ich nach dem Spülen vor das Haus trat, stellte ich fest, dass Matti Hakkarainen uns offenbar besuchen wollte, denn ein Mann näherte sich der im Moos hockenden Vanamo. Im selben Moment erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte. Der Mann ging vorgebeugt, war aber dennoch deutlich größer als Matti, mindestens so groß wie ich. Seine Haarfarbe war nicht zu erkennen, denn er trug eine tief in die Stirn gezogene graue Skimütze, ein seltsames Kleidungsstück für den Sommer. Sein Körper war formlos, und er bewegte sich ungeschickt, als sei er es nicht gewohnt, durch den Wald zu gehen. Als er kurz zum Haus blickte, sah ich sein Gesicht.
Keijo Kurkimäki war an den Tatort zurückgekehrt.
Meine erste Reaktion war, sofort zu Vanamo zu laufen. Doch ich besann mich, ging ins Haus zurück, nahm meine Waffe aus der Tasche des Blazers und vergewisserte mich, dass sie geladen war. Ich steckte sie in die Tasche meiner Kapuzenjacke und holte zusätzlich ein Fahrtenmesser aus der Schublade. Obwohl mein Herz meine Beine zum Laufen zwingen wollte, befahl mir der Verstand, Ruhe zu bewahren. Also machte ich mich vorsichtig auf den Weg zu Vanamo. Leider stand Keijo zwischen uns.
Hevonpersiinsaari war eine schmale Landspitze, deren Baumbestand so ordentlich beschnitten war, dass er kaum Sichtschutz bot. Ich würde also nicht ungesehen an Keijo vorbeikommen. Vanamo hatte den Mann inzwischen bemerkt und war aufgestanden. Sie ging langsam rückwärts zu dem Rosenstrauch auf Fridas Grab. Da Keijo ihr folgte, beschleunigte ich meine Schritte.
«Hilja, bist du aber groß geworden.» Diese heisere, gepresste Stimme hatte ich bisher nur am Telefon gehört. Jetzt klang sie gewollt freundlich.
«Ich bin nicht Hilja, ich bin Vanamo! Und wer bist du?» Auf dem sonst so vertrauensvollen Gesicht meiner Schwester lag Furcht. Sie kannte den Mann nicht, doch sie spürte seine Eigentümlichkeit. Seine an einen Grottenmolch erinnernde Erscheinung ging auf starke Psychopharmaka zurück, doch das konnte eine Neunjährige nicht wissen.
«Du siehst aber genauso aus wie Hilja. Sie haben mir gesagt, dass Hilja bei Jari wohnt, bei meinem Schwager.»
«Der Jari ist doch gestorben …» Nun klang Vanamos Stimme weinerlich.
«Jari? Wann? Ich hab davon geträumt, aber ich dachte, es wäre nur ein Traum. War es doch keiner …» Keijo war stehen geblieben, ich lief seitlich auf die beiden zu, und er drehte
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