Das Nest des Teufels (German Edition)
kurz geschnitten, dass sie unter der Schirmmütze verschwanden. Der Geruch des Bartleims kitzelte mich in der Nase – ich würde einige Minuten brauchen, um mich daran zu gewöhnen. Da die Märzsonne schien, war die getönte Pilotenbrille genau richtig. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, ging ich anfangs noch wie Hilja. Ich blieb stehen und atmete tief ein, grätschte die Beine ein wenig und machte die Knie eine Spur krumm. Ich durfte nicht übertreiben.
«Reiska Räsänen aus Kaavi, Tach auch. Hier riecht’s mächtig nach Kuchen.»
Tante Voutilainen lachte. Reiska sprach Savoer Dialekt, den Menschen aus anderen Teilen Finnlands oft als komisch empfanden. Für Reiska hatte das den Vorteil, dass er nicht so leicht für bedrohlich gehalten wurde wie ein Skinhead, der im Helsinkier Slang redete.
Es war schon nach zwölf, aber ich spazierte etwa zehn Minuten lang im Wohnzimmer auf und ab und versuchte, den Dialekt meiner Kindheit und Reiskas heisere Tenorstimme zu treffen. Reiska wollte nicht recht zum Vorschein kommen, ich musste ihn zwingen. Noch als ich die Treppe hinunterging, hatte ich den Verdacht, dass Hilja unter der Maskerade zu sehen war, doch die spontane Reaktion des Taxifahrers – ein misstrauisches Schnuppern, ob der Fahrgast nach Schnaps roch – stärkte mein Selbstvertrauen. Ich gab eine Adresse in der Urheilukatu an, ein paar Nummern vor Laitios Haus. In seinem Arbeitszimmer, das an seine Wohnung grenzte, konnte er ungestört seine Zigarren paffen. Ich klingelte an der Haustür. Keine Antwort. Als eine junge Frau herauskam, drängte ich mich an ihr vorbei ins Haus.
«Zu wem wollen Sie?», fragte die Frau beherzt. Reiska beschloss, vorübergehend nett zu sein, obwohl er im ersten Moment zurückgeben wollte, das geht dich einen Scheißdreck an, du Zicke.
«Nach oben, zu Laitio.»
Die Frau ging wortlos hinaus. Ich stieg in die oberste Etage und klingelte an der Tür zu Laitios Arbeitszimmer. Niemand öffnete. Ich klingelte erneut, diesmal heftiger. Laitio hatte unsere Verabredung doch nicht etwa vergessen? Dann ging die Tür der angrenzenden Wohnung auf.
Reiska konnte seinen Schock nicht verbergen. Wie war es möglich, dass sich ein Mensch in zwei Monaten derart veränderte? Laitio hatte mindestens zehn Kilo abgenommen, sein Schnurrbart war weiß, sein Gesicht grau, mit Tränensäcken und schlaffen Wangen. Obendrein trug er einen übergroßen Flanellschlafanzug und karierte Filzpantoffeln.
«Komm rein.» Seine Stimme war fast unverändert, doch schon nach den ersten Worten krümmte er sich vor Husten.
«In die Wohnung?»
«Das scheint mir sicherer. Beim Arbeitszimmer habe ich meine Bedenken.»
«Du glaubst also endlich, dass man dich abhört?» Reiska flüsterte instinktiv.
«Ich hab den Raum mehrmals abgesucht, aber meine Alte sagt, gestern, als ich schlief, war wieder ein Typ da, der angeblich die Feuchtigkeit messen wollte. Dabei hatte ich ihr verboten, irgendwen einzulassen. Es ist zum Auswachsen, dass sie mein Geständnis anzweifeln. Sie fragen immer wieder nach dem Motiv. Selbstverteidigung, sage ich.»
Da die Gefahr bestand, dass wir belauscht wurden, wollte ich hier oben nicht länger mit Laitio reden. Er hatte Reiseverbot, war aber ansonsten ein freier Mann. Seine vorsichtigen Schritte und seine zerbrechliche Gestalt verrieten deutlich, weshalb man ihm Haftverschonung gewährt hatte. Laitio atmete mühsam. Im Wohnzimmer sah ich einen Respirator mit Sauerstoffmaske, den er offenbar von Zeit zu Zeit benötigte.
«Gibt es hier im Haus eine Sauna oder einen Clubraum?»
«Im Keller haben sie vor zwei Jahren eine Sauna eingebaut.»
«Hast du den Schlüssel dazu?»
«Den hat meine Alte an ihrem Schlüsselbund. Ich geh da nicht oft hin, elektrisch beheizte Saunas mag ich nicht. Außerdem kann man aus der verdammten Bude nicht mal nach draußen gucken!»
«Du hast also keinen Schlüssel. Gibt es einen Hausmeister?»
«Nur einen Immobilienservice, der fünfzig Euro fürs Aufschließen nimmt und die Personalien überprüft.»
Verdammt. Die Sauna wäre genau richtig gewesen, denn anders als in Laitios Wohnung durfte die Polizei dort auf keinen Fall Abhöranlagen anbringen. Da sich Laitio nicht erinnerte, welche Art von Schloss die Sauna hatte, ging Reiska nachsehen. Es ärgerte ihn, dass er nicht daran gedacht hatte, einen Dietrich mitzunehmen. Das Haus, in dem Laitio wohnte, war kurz nach dem Krieg gebaut worden, und ursprünglich hatten sich im Keller wohl Speisekammern
Weitere Kostenlose Bücher