Das Nest des Teufels (German Edition)
das anders. Was er sagte, galt.
Der Abschied von der Akademie war mir schwergefallen. Mir war nicht klar gewesen, ob ich überhaupt nach Finnland zurückkehren wollte, denn nach Onkel Jaris Tod hatte ich dort keinen Fixpunkt mehr. Auch meine Berufsaussichten waren ungewiss: Hatte ich die teure Ausbildung absolviert, um in einem finnischen Einkaufszentrum Betrunkene zu verscheuchen? Mike lag die Zukunft seiner Schüler am Herzen, zudem waren wir ja Aushängeschilder seiner Akademie. Durch entfernte Bekannte hatte er von einem finnischen Model gehört, das seine Karriere beendet hatte und mit der Familie nach Finnland ziehen wollte, weil es für Kinder dort viel ungefährlicher war als in Manhattan. So hatte ich meinen ersten Job bekommen, bei der Familie Koski-Hamilton in Kulosaari, einem noblen Vorort von Helsinki. Die Familie merkte allerdings bald, dass Finnland ein überaus friedliches Land war, in dem selbst steinreiche Menschen keine ganztägige Leibwächterin brauchten. Inzwischen wohnte sie in Spanien, denn der finnische Winter hatte Herrn Hamilton nicht behagt. An den Alumni-Treffen, die von der Sicherheitsakademie im Abstand von einigen Jahren veranstaltet wurden, hatte ich aus Zeitgründen nie teilnehmen können.
Mein Handy klingelte. Wieder die weißrussische Vorwahl.
«Du hast meinen Auftrag zwar erfüllt, aber ziemlich lahm. Du hättest der Frau ein wenig härter zusetzen sollen.»
«Das tue ich, wenn diese Aktion keine Wirkung zeigt.»
«Was soll das heißen? Ich will nicht, dass Julia weiterhin Ärger bekommt, und das solltest du dem Objekt ein für alle Mal klarmachen!»
Ich konnte mir Gezolians Gesichtsausdruck vorstellen, sein Atem ging rasselnd.
«Ich kenne das Objekt und kann einschätzen, welche Vorgehensweise die richtige ist. Die Frau hat sich bereits öffentlich blamiert. Für die meisten Menschen ist das die abschreckendste Erfahrung.»
Ich musste kämpfen, um mit kühler Stimme zu sprechen. Hunden durfte man nicht zeigen, dass man sich vor ihnen fürchtete, sonst gewannen sie die Oberhand. Man musste sich als Anführer geben, der jederzeit bereit war, einem Artgenossen, der seine Position bedrohte, die Zähne in den Nacken zu schlagen. Allerdings waren Gezolian und ich keine Artgenossen, wir waren nur durch eine Laune des Schicksals auf denselben Agility-Parcours geworfen worden. Nun musste ich flinker und gewitzter sein als er.
«Ist es wahr, dass Rytkönen von diesem Polizisten erschossen wurde?» Die Aussprache des finnischen Namens bereitete Gezolian erhebliche Schwierigkeiten.
«Ich weiß darüber nur, was in der Zeitung stand, und das war nicht viel. Der Fall wurde totgeschwiegen.»
«Aber du kennst den Polizisten.»
«Ich bin ihm nur ein paarmal begegnet, bei den Ermittlungen über den Mord an Anita Nuutinen. Angeblich hat er Rytkönen gehasst. Und er ist todkrank, er hatte also nichts zu verlieren. Ins Gefängnis kommt er sicher nicht.»
«Rytkönen hat sich überschätzt. Ich hatte keinen Nutzen von ihm. Aber bei dir dürfte das anders sein. Wenn ich es schaffe, nach New York zu kommen, während du mit Julia dort bist, werde ich dir einen Vorschlag machen. Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.»
15
Ich konnte nicht lange über Gezolians Worte nachdenken, denn gleich nach dem Gespräch bekam ich eine SMS von Laitio.
«Ich bin jetzt wieder zu Hause. Wann kannst du kommen? LDG »
Ich rief Frau Voutilainen an und fragte, ob sie am Wochenende zu Hause sein würde, denn ich brauchte einen sicheren Ort, um mich in Reiska zu verwandeln. Am Sonntag passte es ihr. Ich wünschte mir, dieser Sonntag würde nie kommen. Ich wusste, dass ich richtig handelte, aber es war schwer. Beinahe unmöglich.
Als Frida angefahren worden war, hatte ich geglaubt, Onkel Jari könne sie heilen, aber er hatte sofort gesehen, dass es aussichtslos war. Die Ärzte konnten auch Laitio nicht mehr helfen. Zum Glück war er immerhin noch fähig, seinem Leiden selbst ein Ende zu setzen. Was würde ich tun, wenn er mich bäte, ihm dabei zur Hand zu gehen?
Ich antwortete Laitio, ich könne am Sonntag kommen. Bald darauf fragte er, ob mir fünfzehn Uhr recht sei. Ich bejahte, musste aber meine Finger zwingen, die Tasten zu drücken.
«Hilja!» Das war Syrjänens Stimme. «Wir fahren über das Wochenende nach Långvik. Es ist schönes Wetter angesagt, Frühlingssonne!»
Verdammt, wie sollte ich es schaffen, am Sonntag von Långvik zu Frau Voutilainen zu kommen und anschließend in die Urheilukatu?
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