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Das Nest des Teufels (German Edition)

Das Nest des Teufels (German Edition)

Titel: Das Nest des Teufels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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betäubte, sondern schmerzhaft in seinem Kopf pochte. Reiska hätte eine halbe Kiste Bier oder eine mittlere Flasche Wodka gebraucht, um alles zu vergessen. Und als Frau Voutilainen die Tür öffnete und fragend in Reiskas verzerrtes Gesicht blickte, verließ er mich ganz und gar. Ich fiel der alten Frau um den Hals und heulte los.

16
    Tante Voutilainen erschrak nicht über meinen Gefühlsausbruch. Nachdem ich mich ausgeweint hatte, erzählte ich, dass ich einen todkranken Freund besucht hatte, den ich wahrscheinlich nicht mehr lebend wiedersehen würde. Wer dieser Freund war, brauchte sie nicht zu wissen, und sie stellte auch keine Fragen. Deshalb hatte ich es schon ein paarmal gewagt, ihr meine verletzliche Seite zu zeigen, denn sie stürzte sich nicht darauf, um später Nutzen daraus zu ziehen, wie es viele Menschen taten. Nach Fridas Tod hatten sich meine Mitschüler über meine geröteten Augen und meine Niedergeschlagenheit gewundert. Natürlich hatte ich ihnen nicht erzählen können, dass ein Mitglied meiner Familie gestorben war, denn Frida war ein Geheimnis zwischen mir und Onkel Jari gewesen.
    Meine Lehrerin war schon früher aufdringlich gewesen und hatte sogar den Verdacht gehabt, Onkel Jari missbrauche mich. Nach Fridas Tod fragte sie mich immer wieder, was mich so bedrückte. Ich gab mir alle Mühe, meine Trauer zu verbergen, doch dadurch wurde sie nur noch größer, und die Lehrerin ließ mich einfach nicht in Ruhe. Schließlich erzählte ich ihr, ich weinte um meine tote Mutter, denn ich nahm an, diese Antwort würde sie zufriedenstellen. Als sich die Jungen in meiner Klasse über die Heulsuse lustig machten, stellten sie schnell fest, dass ich harte Fäuste hatte.
    Ich hatte immer gedacht, man müsse Trauer einfach ertragen, wenn man an ihrer Ursache nichts ändern konnte. Tante Voutilainen tröstete mich mit den üblichen, gutgemeinten Phrasen. Sie selbst habe ihren Mann durch Magenkrebs und ihre drei Geschwister durch Herzkrankheiten verloren, sie wisse, was Trauer sei. Von Jahr zu Jahr werde die Schar der Gleichaltrigen kleiner, es gebe nur noch wenige, mit denen sie Kindheitserinnerungen austauschen könne.
    «Du hast allerdings schon jetzt mehr als genug Verluste erlitten. Aber der Schöpfer fragt nicht immer nach dem rechten Maß, das kann einen manchmal ganz schön wütend machen. Bist du jetzt noch in der Stimmung, mit mir spazieren zu gehen, oder möchtest du lieber nach Hause? Den Spaziergang können wir ein andermal nachholen.»
    Sie gab mir Quarkkuchen mit und trug mir auf, ihn mit Juri zu teilen. Ich musste ihn jedoch einfrieren, denn Juri und Syrjänen waren weiterhin in Långvik.
    In den folgenden Tagen begleitete ich Julia ins Fitness-Center, zum Shopping und in Cafés und hielt die Augen auf, stets gefasst auf eine neuerliche Attacke von Satu Syrjänen. Doch es blieb ruhig. Von Laitio hörte ich nichts, zuckte aber jedes Mal zusammen, wenn eine SMS eintraf, obwohl er mich sicher nicht vorgewarnt hätte. Ich hatte keine Ahnung, wer mich über seinen Tod informieren würde, wenn es so weit war. Vielleicht wurde er in aller Stille beigesetzt. Nachdem ich eine Woche gewartet hatte, rief ich den Festanschluss der Familie an. Wenn sich seine Frau meldete, wollte ich mich als Illustriertenwerberin ausgeben. Doch ich erreichte nur den Anrufbeantworter, auf dem Laitio mit heiserer Stimme erklärte, man möge nur dann eine Nachricht hinterlassen, wenn es um etwas Wichtiges gehe. Die Durchsage endete mit einem wütenden Maunzen seiner Katze.
    Ich konnte nur warten. Aber ein Wunder würde nicht geschehen, Laitio hatte seinen Entschluss gefasst. Was mochte er noch zu erledigen haben? Ich hatte den Verdacht, dass es zumindest teilweise um den Mord an Martti Rytkönen ging. Zweimal machte ich sogar einen Abstecher in die Urheilukatu, doch an Laitios Haus hing keine Fahne auf Halbmast.
     
    Fünf Tage vor dem Abflug nach New York bekam ich endlich eine Mail von Mike Virtue. Er entschuldigte sich für die verspätete Antwort; es sei bisher ungewiss gewesen, ob er in New York sein würde, wenn ich käme. Inzwischen stehe jedoch fest, dass sein Vortrag auf einer Konferenz in Los Angeles erst am Wochenende auf dem Programm stand, wir könnten uns also am Tag nach meiner Ankunft treffen.
    «Möchtest du sehen, wie wir die Sicherheitsakademie verändert haben? Herzlich willkommen zum Lunch oder zu einem grünen Tee.» Mike Virtue trank keinen Kaffee und nahm auch sonst so gut wie keine Stimulanzien zu

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