Das Nest des Teufels (German Edition)
Schnurrbart zitterte ganz leicht, ein neuerlicher Hustenanfall trieb ihm das Wasser in Nase und Augen.
«Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt gehst und ich mich ein bisschen hinlege. Wenn meine Alte zurückkommt, will sie garantiert wieder über die Namen der Enkel reden. Als ob sie darüber bestimmen würde! Man weiß noch gar nicht, ob die beiden Männlein oder Weiblein sind. Aber das weiß man bei dir ja auch nicht immer.»
Reiska stand auf. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Hilja befahl ihm, die Sonnenbrille abzusetzen, sich den Schnurrbart aus dem Gesicht und die Perücke vom Kopf zu reißen und Laitio wenigstens zum Abschied zu umarmen. Noch war Reiska stärker. Er gab Laitio mit festem Druck die Hand und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter – wie ein Offizier, der einen Soldaten auf ein Minenfeld schickt.
«Alles Gute.»
«Danke», sagte Laitio, und da fuhr Reiska aus mir heraus. Ich umarmte Laitio und spürte die Tränen aufsteigen. Auch Laitio erkannte die Veränderung. Er erwiderte die Umarmung und klopfte mir immer wieder auf den Rücken.
«Sei nicht traurig, Mädchen, ich habe gründlich darüber nachgedacht. Danke für alles.»
Da klingelte es in der Nachbarwohnung, einmal, zweimal. Gleich darauf schnarrte die Klingel an der Tür zum Arbeitszimmer.
«Papa, bist du da? Ich wollte mal vorbeischauen, weil Mutti sagt, du bist ganz allein!», rief eine helle Frauenstimme.
«Verflixt! Das ist Katariina. Wenn ich nicht aufmache, kommt sie mit ihrem eigenen Schlüssel rein.»
Laitio löste sich von mir, schnäuzte sich und rief:
«Ich bin im Arbeitszimmer und hab Besuch!»
Reiska polierte seine Sonnenbrille und strich den Schnurrbart zurecht, während Laitio die Tür öffnete und seine Tochter anwies, in die Wohnung zu gehen. Reiska verschwand, ohne sich vorzustellen, doch die Silhouette der schwangeren jungen Frau brannte sich in seine Netzhaut ein. Er hatte nicht die Geduld, auf den Aufzug zu warten, sondern stürmte die Treppe hinunter und rannte durch die Urheilukatu zum Park am Olympiastadion. Als er kräftig gegen eine leere Bierdose kickte, sah eine Frau, die ihren Hund ausführte, ihn erschrocken an.
«Scheiße, Scheiße, Scheiße!» Reiska schlug mit der Faust gegen ein Halteverbotsschild, es war hart und gab nicht nach, dafür schwoll der Fingerknöchel im Handschuh an, blutete vielleicht sogar. Reiska schlug noch einmal zu. Verdammte bekackte Scheiße. Er rannte in den Wald hinter dem Stadion, fand einen halb im Schnee verborgenen, kopfgroßen Stein, warf ihn gegen eine Kiefer und fluchte weiter. Er musste sich beruhigen, denn wenn er weiterhin tobte, würde irgendwer die Polizei rufen, und er hatte keine Papiere außer einem uralten, gefälschten Bibliotheksausweis. Reiska holte die Bierdose aus dem Rucksack und leerte sie so schnell, als wolle er einen Rekord aufstellen. Die nächste Kiefer am Wegrand bekam ebenfalls seine Faust zu spüren, Reiska war, verdammt noch mal, keiner von den Typen, die Bäume umarmen.
«Du verdammtes Arschloch lebst fröhlich vor dich hin und wirst bald freigelassen, während viel bessere Männer ihr Leben lassen müssen!», wütete Reiska gegen Hiljas Vater.
Eine SMS ging ein. Reiska hatte Hiljas Handy dabei, für den Fall, dass Julia ihre Leibwächterin zu erreichen versuchte. Doch die SMS kam nicht von Julia, sondern von Vanamo.
«Hallo, Hilja. Wir hatten in der Sonntagsschule heute ein bisschen Streit, weil Pinja sagte, Tiere kommen nicht in den Himmel, und ich hab gesagt, sie kommen doch hin, und die Lehrerin wollte gar nichts dazu sagen. Aber warum sollten sie nicht in den Himmel kommen, Gott hat sie doch genauso geschaffen wie die Menschen. Was meinst du?»
Doch, doch, Katzen und Kühe kommen in den Himmel, Luchse auch, und vielleicht sogar die Schäferhunde der Miliz, die haben ihr Los ja nicht selbst gewählt. Und auch mürrische, schnauzbärtige Polizisten, trotz Selbstmord. Das dachte Hilja in Reiskas Kostüm, aber sie antwortete Vanamo nur, sie sei derselben Meinung wie ihre kleine Schwester, auch Katzen kämen in den Himmel. Hilja wusste ebenso wenig wie Reiska, wie es sich wirklich verhielt, und glaubte auch nicht, es zu Lebzeiten zu erfahren, aber Hilja hatte bereits gelernt, dass sie Vanamo erlauben musste, ihren kindlichen Glauben zu behalten.
Die SMS brachte Reiska so weit zur Ruhe, dass er es schaffte, sich zu Frau Voutilainen zu begeben. Der Whisky und das Bier hatten ihm einen Schwips beschert, der ihn jedoch nicht
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