Das Nest des Teufels (German Edition)
seine Retterin mit sich in den Tod zu reißen. Die Übung sollte dazu dienen, uns auf die Arbeit als Bodyguards von suizidgefährdeten Rockmusikern und Filmstars vorzubereiten. Ich war zu drei Vierteln tot, als ich den Mann endlich in das Rettungsboot gehievt hatte, aber meine finnische Zähigkeit hatte mir nicht erlaubt, klein beizugeben. Die Arschlöcher waren gezwungen gewesen, mir die Bestnote zu geben.
Doch ich hatte keinen Grund, Mike großspurig gegenüberzutreten. Er würde natürlich fragen, was ich im Anschluss an meine Ausbildung getan hatte, und auf meiner Jobliste gab es einen dicken Schandfleck, dazu noch einen kleineren, die Entführung von Helena Lehmusvuo, die ich allerdings dank des Peilsenders, den ich in ihre Nackenhaare eingeflochten hatte, letzten Endes hatte verhindern können.
Mike hatte bisher etwa vierhundert Schüler gehabt, sicher war ich nicht die Einzige, die Fehler gemacht hatte. Ich betrachtete die Wächter der Brautkleidboutique, zwei Männer um die dreißig, und überlegte, welche Ausbildung sie wohl hatten und was sie verdienten. Sicher nicht einmal halb so viel, wie Syrjänen mir zahlte. Aber Mike maß den Erfolg seiner Schüler wohl nicht allein an deren Gehalt.
Julia und ich aßen im Hotelrestaurant, und nach dem Essen war es bereits so spät, dass wir beschlossen, gleich schlafen zu gehen. Ich verordnete uns beiden Melatonin, das den Jetlag milderte. Als ich schon im Bett lag, hörte ich Julias Handy klingeln. Da sie sich nicht auf Englisch, sondern auf Russisch meldete, schlich ich an die Tür und lauschte. «
Da, papa
. Bis Donnerstag,
papa
.» Offenbar würde Gezolian am Donnerstag eintreffen. Die Vorstellung gefiel mir gar nicht. Es gab immer wieder Unfälle, es konnte durchaus vorkommen, dass ein gelbes Taxi in eine Menschenmenge raste oder ein Junkie jemanden vor die U-Bahn stieß. Ich war sicher, dass Gezolian mich nicht in Ruhe lassen würde. Vielleicht hatte Juri mich in seinem Auftrag als Julias Leibwächterin angeworben. Es war ja keineswegs gesagt, dass der große Boss nur durch seinen Lakai Rytkönen Kontakt zu dem kleinen Gauner gehabt hatte. Der beste Weg, sich Macht zu verschaffen, bestand darin, seine Fänge in jede Richtung auszustrecken und alle gegeneinander aufzuhetzen.
Am nächsten Morgen fand ich auf meinem Handy eine SMS von Juri vor. «Ich habe bei Laitio angerufen. Er war selbst am Apparat. Ich habe behauptet, Katzenfutter zu verkaufen, aber Laitio hat nur gefragt, woher ich weiß, dass er eine Katze hat.»
Wenn Juri bei mir gewesen wäre, hätte ich ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt. Als ich in Julias Zimmer spähte, saß sie im Bett und trank Kaffee und Orangensaft.
«Du willst joggen?», fragte sie und erklärte dann zu meiner Überraschung, sie komme mit. Sie hielt sich zwar durch Laufbänder und andere aerobische Geräte fit, aber in Helsinki joggte sie nie an der frischen Luft. Der Central Park in New York war natürlich etwas anderes, dort konnte man Madonna oder Johnny Depp begegnen.
Die prominenteste Gestalt, die wir auf unserer Runde zu Gesicht bekamen, war die aus der Serie
Angels in America
bekannte Engelsstatue. Monika hatte sich die Serie regelmäßig angesehen, daher hatte auch ich sie verfolgt, obwohl ich nicht alle künstlerischen Feinheiten verstand.
Es war schon so warm, dass mein langärmliges Sporthemd zu viel des Guten war. Beim Laufen überlegte ich, was Laitio dazu gebracht hatte, seinen Selbstmord aufzuschieben. Hatte er neue Hoffnung geschöpft?
Julia hielt ganz passabel mit. Ein dicker Waschbär sprang flink davon, schwarzbraune Eichhörnchen flitzten an den Baumstämmen auf und ab. Ich hatte schon beinahe vergessen, wie entspannt es in New York zuging. Ein dunkelhäutiger Pferdekutscher rief uns zu, laufen sei langweilig, wir sollten lieber eine Kutschfahrt machen. Sogar Julia lachte ihn freundlich an.
Um zwölf Uhr brachte ich sie zu dem Brautausstatter, wo diesmal die passenden Dessous und Schuhe ausgewählt werden sollten. Der Stylist des Geschäfts hatte am Vormittag in den exklusivsten Boutiquen der Stadt eine Vorauswahl getroffen. Julia meinte, sie würde mindestens bis vier Uhr mit der Anprobe beschäftigt sein. Am Abend wollten wir uns das Musical
Mamma Mia
ansehen. Der Vorschlag stammte von mir, allerdings hatte ich verschwiegen, dass Onkel Jari Abba verehrt und Frida für die schönste Frau der Welt gehalten hatte. Julia hatte die Verfilmung des Musicals gesehen und meinen Vorschlag akzeptiert.
Die
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