Das Nest
strecken. Den Brief legte sie neben den Anrufbeantworter. Die folgenden fünfzehn Minuten waren ein einziger Wirbelsturm aus fliegenden Kleidern, Büchern, Papieren und Straßenkarten, die in verschiedene Beutel verteilt wurden. Sie ging ins Wohnzimmer, um ein paar Kassetten für die Fahrt mitzunehmen, ohne daran zu denken, daß die Regale bei der Plünderung leergefegt worden waren. Bei dem trostlosen Anblick, der sich ihr bot, fing sie lautstark zu fluchen an. Der Schock versorgte sie mit der Extraportion Energie, die sie in die Nacht hinaus und zur Anlegestelle der Fähre trug.
Drei Tage später stand Lindsay in der riesigen deutschen Druckerei und sah zu, wie sich der Berg an Gedrucktem vor ihren Augen um hundert Stück pro Minute vergrößerte. Auf jedem Titelblatt prangte ihr Bild. Günter kam auf sie zu, in der einen Hand einen Stoß Erstausgaben vom Fließband, in der anderen eine Flasche Champagner. Er warf eine der Zeitschriften in Lindsays Richtung, und sie starrte ungläubig auf das Cover. Über eine mit Teleobjektiv geschossene Aufnahme von Brownlow Common mit dem Friedenscamp im Vordergrund war ein Foto von ihr montiert worden. Langsam breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie nahm einen tiefen Zug aus der angebotenen Champagnerflasche. »Wir haben’s geschafft«, krähte sie vor Vergnügen. »Wir haben’s denen gezeigt, diesem Pack.«
EPILOG
Ausschnitte aus dem Daily Clarion vom 11. Mai
RAKETEN WERDEN ABGEZOGEN
Wie das Pentagon am vergangenen Abend verlauten ließ, wird der phasenweise Abzug von Cruise Missiles aus Brownlow Common im November dieses Jahres beginnen.
DOPPELTE TRAGÖDIE
FÜR IN MORD UND SPIONAGE
VERWICKELTE FAMILIE
Der Mann, der im Mittelpunkt der Enthüllungen eines deutschen Magazins über russische Spione in amerikanischen Raketenbasen in Großbritannien stand, starb gestern bei einem schrecklichen Verkehrsunfall. Sein Tod bedeutet für die Familie die zweite Tragödie innerhalb weniger Monate. Der Vater des tödlich Verunglückten, der Anwalt Rupert Crabtree, war vor acht Wochen einem brutalen Mord zum Opfer gefallen.
Im Zusammenhang mit Simon Crabtree hatte der britische Geheimdienst erst vor kurzem jeden Spionageverdacht offiziell dementiert. Crabtree geriet mit seinem Motorrad in einer scharfen Kurve ins Schleudern und raste in einen Traktor. Er war sofort tot.
Viele Steine gab’s… auf dem Weg ins dritte Frauenkrimizehnt
Weitere vier Bausteine für den feministischen Umbau von Kriminalliteratur und Alltagskultur, und noch immer ist kein fertiges Gebäude in Sicht. So mahnt der/die eine oder andere der erfreulich zahlreichen kritischen Beobachterinnen unseres Versuchs mit dem Blick auf die Geröllhalde von nunmehr bald 30 Ariadnekrimis. Solche Ermahnung läßt uns in unserer begeisterten Suche nach möglichen Vorschlägen für Frauenbefreiung im Krimigewand innehalten und unser Tun überdenken.
Ein Problem liegt, so scheint uns, in der Sprache, die auch wir verwenden, und den dahinterliegenden Vorstellungen von Welt und Arbeitsteilung. Die Rede von den »Bausteinen für eine feministische Kriminalliteratur« und dem »Gebäude der Frauenbefreiung« führt uns in die arbeitsteiligen Bereiche der Architekten, der Bauleute und der Bewohnerinnen. Die ersten machen die Pläne, die zweiten führen sie handarbeitlich durch und die dritten genießen die Produkte des vorherigen Tuns. Gilt solches für unsere Krimibausteine? Tatsächlich können wir kaum leugnen, daß auch wir Pläne machen und sie arbeitsteilig durchführen. Aber können und wollen unsere Leserinnen die so für sie zurechtgemachten Räume einfach bewohnen, das fertige Gebäude staunend zur Kenntnis nehmen und schließlich befreit applaudieren? Es liegt auf der Hand, daß dieser Gedanke unsinnig ist. Wir könnten die schönsten Befreiungsräume ausgestalten, die herrlichsten ästhetisch vollendeten Bauwerke vorlegen – es würde nichts nützen, wenn keine sie bewohnen wollte. Anders: Frauen können sich nur selbst befreien, das gilt auch für ihre Lesegewohnheiten, ihre Ausflüge in Alltagsliteratur. Die Leserinnen selbst sind Bauherrinnen ihrer Befreiungsgebäude. Wenn sie einzelne Krimis nicht aufnehmen, ungeeignet, unpassend finden, nicht für sich verwenden können, haben diese keinen Gebrauchswert für sie, das gilt natürlich auch andersherum.
Diese Verlagerung des Urteils weg von uns auf unsere Leserinnen scheint doppelt gemogelt. Sie
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