Das Nest
zeigt uns schön demokratisch und enthebt uns der Kritik über das, was wir taten, macht unsere Tat des Auswählens, die wir ja vollbrachten, unsichtbar. Legen wir nicht doch selbst Maßstäbe an, die wir der Kritik vorlegen müßten? So richtig der Verweis auf Handeln, Urteil, Annahme und Ablehnung unserer Leserinnen ist, so richtig auch die Ermahnung, unsere Mittlerinnenrolle zwischen allgemeinem Krimimarkt und der Ariadne-Auswahl offenzulegen.
Nehmen wir die vier letzten Krimis aus dem Jahr 1991: Lasserre, Carlson, McDermid und Dreher. Ich beginne mit dem letzten, obwohl er erst im November erscheint, weil Sarah Dreher mit ihrer Titelheldin Stoner McTavish ein besonders lehrreiches Projekt ist. Alles begann mit Stoner 1, jenem verrückten Krimi, bei dem schon fast von Anbeginn jede weiß, daß der finster-sonnige Ehemann genau der Schurke ist, den Stoner hinter seiner anmaßenden Fassade vermutet, und daß die schüchtern-draufgängerische Stoner die schöne Gwen »bekommen« wird. – Also kein Krimi, wie wir ihn erwarten – mit Spannung bis zur letzten Seite und fiebriger Beteiligung von uns Leserinnen bei der Aufdeckung der Taten, der Entdeckung der Täter. Statt dessen auch viel romantischer Kitsch, wie wir zugeben müssen, und doch – es gab eigentlich keine unter uns (die wir die Krimis vorher diskutieren), die nicht verliebt war in Stoner, die nicht voller Vergnügen Seite um Seite verschlang, die nicht mutiger, aufrechter, der Welt zugewandter war nach der Lektüre. Gleiches gilt für die Stoner-Rezeption. Vielleicht kann man verkürzt sagen: Stoner setzt auf eine für uns nicht völlig durchschaute Weise Befreiungsenergie bei ihren Leserinnen frei. – Wie glücklich waren wir, als Stoner 2 bei uns eintraf, jener Krimi, den wir jetzt unter dem Titel »Schatten« veröffentlichen. Zwar gab es eine ganz kleine Enttäuschung, daß die handelnden Figuren kaum anders sind als im ersten Krimi und selbst nicht so viel dazugelernt zu haben scheinen wie wir als Leserinnen. Und es gab also für uns die Lehre, daß wir unbedingt dafür sind, wenn die gleiche Heldin immer wieder in neuen Romanen auftritt, weil wir sie jetzt kennen und lieben gelernt haben und daher nicht wollen, daß »es« schon zu Ende ist, daß wir aber zugleich erwarten, daß unsere Heldin sich entwickelt wie wir selbst, daß sie dazulernt – mindestens aus ihren eigenen Taten. Wir wollen also nicht, daß sich die Konstellationen einfach wiederholen. Es gab keinen Zweifel, daß wir Stoner 2 sogleich veröffentlichen wollten, weil wir als Leserinnen auch annahmen, daß andere gespannt seien wie wir. Das eigentliche Problem kam mit Stoner 3. Es gibt diese notwendige und bedauerliche zeitliche Verzögerung zwischen der amerikanischen und der deutschen Publikation – die vielen anderen Krimis und die Zeit des Übersetzens. Als Stoner 3 in den USA auf den Markt kam, war die Zeit der Magie und des New Age im Feminismus in voller Blüte. Einzelne Dimensionen davon, die uns in Stoner 1 und 2 liebenswert schienen, waren nun in Stoner 3 vollständig ausgebaut, bestimmten Handlung und Durchführung ausschließlich. Stoner findet sich zwischen Magierinnen und Zauberern, Totemtieren und Tabus in indianischen Landen, Kommunikation über Tausende von Kilometern geht ohne Telefon so gut wie mit, böse Geister bestimmen über Leben und Tod. Auch dieser Krimi, das muß man ihm lassen, ist spannend und vergnüglich zu lesen. – Wir haben uns diese Sache nicht leicht gemacht. Abendelang saßen wir in wechselnden Gruppen zusammen und diskutierten, was zu tun sei. Wir dachten, daß unsere Leserinnen – wie wir – auf Stoner 3 warteten. Wir wollten diesen Krimi nicht herausbringen, weil wir der Auffassung sind, daß die Welt des Irrationalen keine Unterstützung braucht, sondern umgekehrt, daß wir in der allgemeinen Verzweiflung beteiligt sein müßten am Bau von Wällen gegen solche Strömungen. Aber wie konnten wir solches den Leserinnen erklären, ohne sie in die Diskussion gleichberechtigt einzubeziehen? Wir kamen schließlich zu dem Ergebnis, auch Stoner 3 zu veröffentlichen (Anfang 1993, Titel: Graue Magie), und gleichzeitig eine öffentliche Diskussion darum unter Beteiligung möglichst vieler Leserinnen zu beginnen. Dies war zugleich der Anfang unseres Planes, zusätzlich zu den Krimis ein Diskussionsblatt – das Ariadne-Forum – herauszubringen, in dem die Leserinnen zu Wort kommen. Die erste Nummer ist in Arbeit.
Schöne Pläne rechnen häufig
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