Das Nest
braune Cordsamthosen. Im Moment scheint sich das Ganze am toten Punkt zu befinden, meint er jedenfalls. Trotzdem, find’s raus und schick uns den Text so rasch wie möglich.«
»Bin schon unterwegs«, erklärte Lindsay.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Lindsay das Gasthaus gefunden. Etwas schwieriger gestaltete sich die Suche nach Gavin Hammill. Nahezu jeder männliche Besucher der Bar trug einen Parka und die Hälfte von ihnen war anscheinend allein da. Nachdem sie zweimal den Falschen angesprochen hatte, beschloß Lindsay, vor dem nächsten Versuch einen Drink zu bestellen. Sie wollte gerade einen kräftigen Schluck aus ihrem Scotchglas nehmen, als ihr ein schlaksiger Jugendlicher mit braunen Haaren und nur schlecht von einem dürftigen Bart kaschierten Hautproblemen auf die Schulter tippte. »Lindsay Gordon? Ich bin Gavin Hammill vom Fordham Weekly Bugle. «
Alles andere als erleichtert rang sich Lindsay ein schwaches Lächeln ab. »Freut mich, Gavin. Wie steht’s?«
»Also, im Moment befinden sich beide Seiten noch vor dem Polizeigebäude. Die Polizei weiß auch nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll. Ich meine, sie können die Bürgervertreter ja schlecht auf dieselbe Art behandeln wie sie das sonst mit den Frauen machen, nicht wahr? Andrerseits soll auch niemand sagen, daß sie verschiedene Maßstäbe anlegen. Sie versuchen, ein wenig Distanz zu schaffen. Zumindest hatte ich diesen Eindruck, als ich von dort wegging.«
»Und wann war das?«
»Vor etwa zehn Minuten.«
»Na dann, werfen wir uns ins Gewühl. In einer Viertelstunde muß ich den Bericht durchgeben.«
Über den Hauptplatz liefen sie in eine Nebenstraße, wo in einem zweistöckigen Backsteingebäude die Fordhamer Polizei untergebracht war. Lärm drang an ihr Ohr, noch bevor sie die Demonstranten zu Gesicht bekamen. Die Frauen aus dem Camp sangen die Friedenslieder, die im Laufe der vergangenen zwei Jahre zu Hymnen geworden waren. Immer wiederkehrende Sprechchöre versuchten, sie mit »Schließt das Camp! Laßt uns in Frieden!« zu übertönen.
Auf den Stufen des Kommissariats saßen etwa vierzig in die verschiedensten Schichten warmer Gewänder gehüllte Frauen. Ihre Stiefel waren voller Lehm und an ihren Jacken, Mützen und Schals steckten Friedensabzeichen. Die meisten sahen trotz der schwierigen Lebensbedingungen im Freien erstaunlich gesund aus. Auf der anderen Seite stand eine Gruppe von etwa fünfundzwanzig lauthals rufenden Leuten. Die Teilnehmer an der mehrheitlich aus Männern bestehenden Versammlung sahen alle aus, als sollten sie eigentlich zu Hause vor dem Commodore sitzen und sich »Mastermind« einverleiben, statt vor dem Polizeigebäude für Aufruhr zu sorgen. Zwischen den beiden Gruppierungen stand ein Dutzend uniformierter Polizeibeamter, das die Kontrahenten auf Distanz hielt und offensichtlich nicht gewillt war, mehr zu tun. Lindsay beobachtete die Situation ein paar Minuten lang. Da und dort versuchte ein Vertreter des Steuerzahler-Vereins den Polizeigürtel zu durchbrechen, jedoch nicht ernsthaft genug, um sich viel mehr als ein sanftes Streicheln von Seiten der Ordnungshüter einzuhandeln. Diesen Versuchen gingen normalerweise Sticheleien von einer oder mehreren Frauen voraus. Lindsay erkannte Nicky, eine der Vertreterinnen des radikalen Flügels im Camp. Sie rief gerade: »Mit der Polizei im Rücken seid ihr stark, was? Warum eigentlich nicht, wenn die Amis ihre Bomben an eurer Haustür abstellen?«
»Wieso lösen die Bullen das Ganze nicht auf?« fragte Lindsay Gavin.
»Ich hab’s dir ja schon gesagt, sie wissen anscheinend nicht, was sie tun sollen. Vielleicht warten sie auf das Eintreffen ihres Chefs. Offensichtlich hatte er heute abend frei und war nur mühsam zu erreichen. Er sollte eigentlich mit der Situation fertig werden.«
Während er sprach, trat ein großer uniformierter Beamter mit Gesichtszügen wie auf einem Mediciporträt aus dem Gebäude. Er bahnte sich seinen Weg durch die Frauen, die ihn höhnisch begrüßten. »Ist er das?« wollte Lindsay wissen.
»Genau. Jack Rigano. Er ist der Boss hier. Feiner Kerl.«
Ein jüngerer Beamter drückte Rigano einen Lautsprecher in die Hand. Er hielt ihn an die Lippen und sprach. Trotz Verzerrung war die Stimme verständlich zu hören: »Meine Damen und Herren, Sie haben Ihren Spaß gehabt. Ich gebe Ihnen fünf Minuten. Dann will ich Sie hier nicht mehr sehen. Sollte dies dennoch der Fall sein, so haben meine Beamten die Anweisung, jeden zu verhaften.
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