Das Nest
führte ein Teerstreifen zu einem etwa 200 Meter von der Straße entfernt gelegenen Tor, das aus einem von Maschenzaun umgebenen schweren Stahlgitter bestand, der von wild gebogenen und mit Stacheldraht umwickelten Eisenspitzen gekrönt wurde. Oben auf dem äußeren Zaun mit seinen drei Meter hohen Betonpfosten und Metallgittern war gerollter Nato-Stacheldraht angebracht, am Boden neben dem Zaun lag er in Spiralen. Vier britische Soldaten bewachten den Eingang von innen, zwei Polizisten waren außen postiert. Auf einem Schild stand: »US-Luftwaffenstützpunkt Brownlow Common.«
In einiger Entfernung hoben sich die langgestreckten Hügel der Raketensilos vom Horizont ab. Dreihundert Meter innerhalb des Zauns befanden sich Gebäude, welche offensichtlich die Wohnungen für die Beschäftigten beherbergten – quadratische Betonblöcke mit den immergleichen Vorhängen an allen Fenstern. Von ihrer Aussichtswarte aus erinnerten sie Lindsay nachdrücklich an Gefängniszellen. Und sie empfand den brutalen Kontrast zu den anderen menschlichen Behausungen, die sie vom Auto aus sehen konnte. Der Großteil der Lichtung außerhalb des abschreckend wirkenden Zauns war von den Friedenskämpferinnen besetzt worden. Überall hatten sie ihre bunten Zelte aufgebaut – grün, blau, grau, orange, braun. Die Frauen saßen draußen in der warmen Sonne. Sie unterhielten sich miteinander, tranken, kochten, aßen und sangen. Die leuchtenden Farben ihrer Kleider vermischten sich und bildeten ein Kaleidoskop ständig wechselnder Muster. Ein paar kleine Kinder spielten um eine Gruppe von Zelten herum lebhaft fangen.
Lindsay und Cordelia waren trotz einiger Bedenken von Seiten radikalerer Frauen freundlich aufgenommen worden. Es herrschte eine gewisse Skepsis, was Lindsays Beruf und Cordelias Ruf als Schriftstellerin und gesellschaftlich akzeptierte Paradefeministin betraf. Und doch hatte Lindsay nach diesem ersten Besuch den Kontakt aufrecht erhalten. Er vermittelte ihr eine Art Schwerpunkt für ihre nachlassenden politischen Energien, außerdem genoß sie die Gesellschaft der Frauen dort. Insbesondere eine Ärztin namens Jane Thomas, die eine vielversprechende Karriere als Chirurgin aufgegeben hatte, um im Camp zu leben, war ihr eine enge Freundin geworden, auf die sie sich verlassen konnte.
Mit der Zeit freute sich Lindsay immer mehr auf die Tage, die sie in Brownlow Common verbrachte. Die Übersiedlung nach London, von der sie sich so viel erwartet hatte, war eigenartigerweise ein ziemlicher Reinfall geworden. Es hatte sie entsetzt, als ihr bewußt wurde, wie außergewöhnlich schlecht sie in Cordelias Freundeskreis paßte. Für eine, deren beruflicher Erfolg oft von ihrer raschen Auffassungs- und Anpassungsgabe abhing, war das ein herber Schock gewesen. Cordelia wiederum fühlte sich offensichtlich nicht wohl unter Journalistinnen, die nicht zur Kunst- und Medientruppe gehörten. Und Cordelia war kein Chamäleon. Sie befand sich gern in der Gesellschaft von Leuten, bei denen sie sich in der Rolle geborgen fühlte, die sie sich ausgesucht hatte. Im Augenblick beschäftigte sie sich ausschließlich mit ihrem neuen Roman, den sie mit ihren Freundinnen und ihrer Agentin anscheinend lieber diskutierte als mit Lindsay. Diese fühlte sich zunehmend ausgeschlossen, je tiefer Cordelia sich ins Schreiben vergrub. Sie entwickelte eine Scheu davor, ihre eigenen Probleme mit der Arbeit nach Hause zu tragen, da Cordelia im Geist immer woanders zu sein schien. So sehr sie Cordelia auch liebte und brauchte, fing Lindsay an zu begreifen, daß eine Veränderung ihrer Gefühle stattfand. Während sie zu Beginn ihrer Beziehung gemeint hatte, es handle sich um eine Seelenverwandtschaft mit gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten, kämpfte sie nun immer mehr darum, genügend Gemeinsamkeiten zu finden, mit denen sie die Zeiten vor und nach dem Austausch von Zärtlichkeiten ausfüllen konnten. In körperlicher Hinsicht fanden sie nach wie vor zu einer manchmal geradezu erschreckend intensiven Einheit. Aber in zunehmendem Ausmaß verfolgten sie ihre unterschiedlichen Interessen. Und Brownlow Common war für Lindsay eine ihrer Lieblingszufluchtsstätten geworden.
Seit diesen berauschenden Sommertagen hatte sich die Stimmung im Camp allerdings dramatisch verändert. Von allen Seiten war versucht worden, die Bewohnerinnen aufzureiben. Ein paar Dorfbewohner hatten diesen Steuerzahler gegen die Zerstörung Brownlows Verein mit dem eindeutigen Ziel ins Leben
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