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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Augen des massigen Türstehers. Wie sollte sie sich nennen? Der Hüne wurde allmählich ungeduldig. Schon ließ er von ihr ab, um sich dem nächsten Ankömmling zuzuwenden…
    »Schnuppe.«
    Das Wort war ihr einfach entglitten wie ein nasses Stück Seife. Schnuppe! Das klang einigermaßen unsinnig. Genauso wie »Kötel« oder »Wabbel«.
    »Schnuppe?«, wiederholte Oper Ator langsam. Das hörte sich schon höflicher, aber auch ein wenig ungläubig an.
    Stella wusste nicht, ob sie nun Ja oder Nein sagen sollte. Mit beidem konnte sie sich eine Zurückweisung einhandeln. Irgendwo in den unergründlichen Windungen ihres Gehirns hatte dieser törichte Name gesteckt und war ihr im entscheidenden Moment entwischt. Ihn zurückzunehmen konnte von diesem Fleischberg als Unsicherheit, womöglich sogar als Täuschungsmanöver gedeutet werden. Stella nickte zwei-, dreimal schnell hintereinander.
    Die Augen des Türstehers ruhten einige Herzschläge lang auf Stellas Gesicht. Sie schienen geradezu aus Gletschereis zu bestehen: kalt und ausdruckslos. Dann hob sich der baumlange Arm des Hünen, die Hand ergriff den Türknauf und öffnete das Portal.
    »Seid uns willkommen, schöne Maid. Und lasst es uns wissen, wenn Ihr irgendetwas benötigt.«
    Der Posten lächelte zwar nicht (vermutlich ein pensionierter Kontrolleur), doch seine Worte hörten sich mit einem Mal ausgesprochen gewählt an.
    Stella trat mit bedächtigen Schritten ein.
    Neben der Tür begrüßte sie sogleich ein rot livrierter Diener, der in vollendeter Höflichkeit die Eingangsfrage Oper Ators wiederholte. Als Stella ihm ihren Spitznamen verriet, bannte er diesen mit Hilfe eines Pinsels auf eine glatt polierte Goldbrosche. Dabei spiegelte sein Gesicht einen Ausdruck höchster Verzückung wider, als brächte er eben ein ihm von seiner Muse zugeflüstertes Gedicht zu Papier. Mit einer geschmeidigen Handbewegung reichte er ihr sodann das Namensschild und bat sie, es immerfort gut sichtbar zu tragen. Leider müsse die Geschäftsleitung auf dieses winzige Zeichen von Uniformität bestehen. Oper Ator würde jeden mit einem Tritt ins Freie befördern, der gegen diesen Punkt der Hausordnung verstieße.
    Stella blickte ein wenig verstört auf das Schild an ihrer Bluse, dann wieder in das vor Herzlichkeit strahlende Antlitz des gepuderten Dieners. Sie staunte, mit wie viel Liebenswürdigkeit man seinen Gästen einen Rausschmiss androhen konnte. Der ausgestreckte Arm des Livrierten deutete auf das Innere des Gebäudes. Die edle Dame Schnuppe möge ruhig eintreten, säuselte er und wünschte ihr zahlreiche anregende Plaudereien.
    Zunächst erschlug sie fast die schiere Größe des Innenraums. Dann die Lautstärke. In Black Sun herrschte ein Chaos aus Tönen. Aus unergründlichen Sphären erklang Musik, aber den weitaus größten Anteil an der Geräuschkulisse hatten die Stimmen der Besucher.
    Diese befleißigten sich auch sonst keiner Zurückhaltung. Einige der Gäste sahen wirklich aus wie Schweine, und das nicht im übertragenen Sinn. Nur an ihrer saloppen Kleidung konnte man erkennen, dass man es nicht mit gewöhnlichen Borstentieren zu tun hatte. Andere gefielen sich als Zauberer. Stella konnte von ihrer gegenwärtigen Position aus mindestens ein Dutzend der für diese Berufssparte obligatorischen Spitzhüte ausmachen.
    »Sind das alles Avatare?«
    »So ziemlich«, antwortete Sesa Mina.
    Staunend versuchte Stella die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Die Halle war mehrere Morgen groß; der Stadtpark von Enesa hätte hier vermutlich bequem Platz gefunden. Verborgene Lampen verbreiteten ein gedämpftes grünes Licht. Die Einrichtung des Gebäudes konnte nur als schlicht bezeichnet werden. Alles war in Schwarz gehalten. Auch die Tische. Sie waren quadratisch und schwebten in passender Höhe über dem Boden – Tischbeine gab es nicht. Aufgrund unterschiedlicher Lichtreflexionen wirkte die ganze Grundfläche wie ein überdimensionales Schachbrett aus grünen und schwarzen Feldern. In der Mitte des riesigen Saales gab es einen kreisrunden Schanktisch, hinter dem mehrere Bedienstete die zahlreichen Gäste mit flüssigem Nachschub versorgten.
    Langsam tauchte Stella in das Gewimmel aus plaudernden oder umherflanierenden Wesen ein. Mit ihrem langen Speer und dem weißen Iltis auf der Schulter passte sie durchaus in diese bizarre Gesellschaft. Aber niemand schien von ihr Notiz zu nehmen.
    Allmählich gelang es ihr, Ordnung in das Chaos zu bringen. Die Gäste von Black Sun

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