Das Netz der Schattenspiele
sie den schwarzen Pyramidenstumpf betrat?
Körperertüchtigung gehörte offenbar nicht zu den Hobbys des persönlichen Sekretärs des Statthalters von Enesa. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er gewöhnlich zu Pferde seinem Wild nachstellte. Jedenfalls wurde der Abstand zwischen Stella und ihrem Verfolger immer größer. Unter der Führung Sesa Minas schlug sie mehrere Haken und nutzte wo immer möglich die Deckung durch Passanten, die in allen möglichen Gestalten die Straßen Blaxxuns bevölkerten.
»Ich glaube, wir haben ihn abgehängt«, sagte Stella schließlich schwer atmend. Sie hatte della Valle schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen.
»Sei dir da nicht so sicher«, antwortete Sesa Mina. »Hast du dich noch nicht gefragt, wie er dir überhaupt hierher, nach Blaxxun, folgen konnte?«
Das hatte Stella allerdings nicht. Sesa Minas feine Nase – auch für unbequeme Wahrheiten – konnte manchmal ziemlich lästig sein. In Stellas Kopf schwirrte alles durcheinander. Eigentlich wollte sie sich gar nicht mit diesem neuen Problem auseinander setzen. Aber die Umstände zwangen sie dazu.
Konnte es sein, dass della Valle oder sogar der Statthalter von Enesa zu den Feinden des Lindwurmbundes gehörten? Wollte man sie, Stella, davon abhalten, das Geheimnis des Drachen zu ergründen?
»Da drüben ist der Eingang.«
Die Bemerkung des Frettchens ließ Stella befreit aufatmen. Sie folgte mit den Augen Sesa Minas Nasenspitze. Eine kurze Gasse zweigte hier im rechten Winkel von der Straße ab, der sie eben noch gefolgt waren. Stella bog in die Passage ein und lief direkt auf eine schwarze Fassade zu. Wenig später stand sie auf der anderen Seite einer enorm breiten Straße und blickte staunend auf die Schwarze Sonne. Das klobige Haus besaß nur einen einzigen Eingang. Über der Tür schimmerte eine mattschwarze Halbkugel von gut zwei Ellen Durchmesser. Bis auf den eingravierten Namen darunter war dies der einzige Schmuck des Bauwerks.
Vor dem Gebäude drängten sich Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Leuten auf der Straße. Einige von ihnen glichen eher wandelnden Einrichtungsgegenständen als Wesen aus Fleisch und Blut. Stella konnte mit ihnen nicht viel anfangen, ebenso wenig mit den seltsamen aus einer anderen Zeit stammenden Gewändern der Passanten. Sie hatte auch nicht die Muße, sich diesen Gestalten eingehender zu widmen, denn immer noch musste sie an ihren Verfolger denken. Wenn della Valle irgendwo in dieser Meute steckte, war er nahezu unmöglich zu entdecken.
Stella bahnte sich einen Weg durch die Menge, dabei blickte sie sich unablässig nach allen Seiten um. »Warum ist hier so viel los?«, erkundigte sie sich bei Sesa Mina.
»Sie wollen alle hinein.«
»Und weshalb gehen sie nicht einfach rein?«
»Weil nicht jeder zugelassen wird.«
»Aber dann wird man uns doch genauso zurückweisen.«
Sesa Mina stieß ein amüsiertes Keckem aus. »Das sollen sie nur versuchen.«
Als Stella das wuchtige Portal der Schwarzen Sonne erreichte, stellte sich ihr ein schwarzer Schatten in den Weg. Unwillkürlich verspannten sich ihre Muskeln und sie starrte den Schemen erschrocken an. Er war nicht so unstet wie jener aus dem Turm von Amico, sondern glich eher dem Schatten vor dem Geheimen Stadtarchiv von Enesa.
»Unter welchem Namen begehrt Ihr Einlass?«, blaffte das Schattengebilde Stella an.
»Warum wollt Ihr das wissen?«, gab diese trotzig zurück. Dabei stieß sie den Schaft ihres Speers demonstrativ auf den Boden.
»Ich bin Oper Ator und bestimme hier, wer Black Sun betreten darf. Also, wie wollt Ihr Euch nennen?«
Tatsächlich wieder ein Wachtposten, dachte Stella. Und sofort wurde die diffuse Gestalt plastischer und gewann an Farbe. Aus einer dunklen Wolke schälte sich ein in blaue Beinkleider gehüllter Türsteher von beachtlicher Körperfülle.
»Nun macht schon!«, drängte der Schrank von Mann, der seine besten Jahre deutlich hinter sich hatte. Den Kopf zierte eine Glatze und auch sein tonnenförmiger Oberkörper war nackt. Er trug eine knallrote Bauchbinde und erfreute sich einer Muskulatur, die wohl jedem aufdringlichen Besucher allein durch ihr Volumen Respekt lehrte.
»Du musst ihm deinen Spitznamen verraten«, flüsterte der lebende Pelzkragen seiner Herrin unauffällig ins Ohr.
»Was denn für einen?«
»In der Schwarzen Sonne tritt niemand unter seinem richtigen Namen auf. Denk dir einfach irgendwas aus, was zu dir passt.«
Stella blickte irritiert in die stahlblauen
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