Das Netz der Schattenspiele
entgegen aller Sicherheitsbedenken auf Stellas Schulter bequem gemacht, um besser ins Freie sehen zu können.
»Die Schwarze Sonne«, murmelte Stella. »Ein komischer Name für ein Haus. Klingt fast nach einem Wirtshaus. Aber eine so monströse Schenke habe ich noch nie gesehen.« Stella betrachtete nachdenklich das riesige Bauwerk. Über einer quadratischen Grundfläche erhob sich eine Pyramide, der man mit einem Schwertstreich die Spitze gekappt hatte.
Unvermittelt versank die Schwarze Sonne hinter dem Horizont der Stadtmauer. Die Patrone hatte die Ebene erreicht und glitt nun mit abnehmender Geschwindigkeit auf eines der drei Wassertore zu.
»Werden sie uns reinlassen?«, fragte Stella.
»In den öffentlichen Bereich auf alle Fälle. Wenn wir allerdings auch in den verbotenen Bezirk hineinwollen, werden wir von meiner Nase Gebrauch machen müssen.«
Stella wusste, was das Frettchen meinte. Mina würde überall einen Weg finden, zu jedem Ort in Illusion. Stella musste nur eine vage Andeutung machen und schon trat die geradezu unheimliche Iltisspürnase in Aktion.
Die Kontrolleure an dem breiten Stadttor bereiteten ihnen keine Schwierigkeiten. Mit der nun schon bekannten Unfreundlichkeit, die ihren Berufsstand auszeichnete, fertigten sie die Reisenden ab. Dabei waren sie nur wenig gründlicher als die schläfrigen Posten von Amon.
Blaxxun war ein kleiner Ort. In vielem glich er der Bergarbeiterstadt Amico. Es gab nur wenige hohe Gebäude. Die meisten Straßen in den Außenbezirken waren nicht einmal gepflastert. Allerdings wirkte alles sehr sauber, fast schon steril. Als sich Stella und Sesa Mina dem Zentrum der Ansiedlung näherten, wurden dann die Straßen zusehends belebter.
»Hast du eine Ahnung, Mina, warum so viele glauben, Blaxxun sei nur eine Legende?«
»Ihr Menschen habt manchmal einfach komische Ansichten.«
»Ich verstehe nicht ganz, was du meinst.«
»Ist doch ganz einfach. Ihr habt von vielem eine fest gefügte Meinung. Sie ist nicht immer logisch oder von jener natürlichen Gesetzmäßigkeit wie der Wechsel der Jahreszeiten. Ich würde sie eher mit einem Kaninchenbau vergleichen, mit einer von euch selbst entworfenen Ordnung, in der ihr euch sicher und damit wohl fühlt. Sobald etwas von diesem Denkmuster abweicht, seid ihr verwirrt und lehnt es rundweg ab, anstatt es erst einmal zu beschnüffeln. Bei Städten wie dieser hier ist das nicht anders. Blaxxun ist nicht gerade das, was ihr unter einem anständigen Gemeinwesen versteht, also ignoriert ihr es eben.«
»Wieso? Ist Blaxxun denn etwa unanständig?« Stellas Mund und Augen weiteten sich. »Dies hier ist doch nicht etwa eine dieser berüchtigten Vergnügungsstätten für kranke Hirne, um sich…«
»Reg dich nicht auf«, unterbrach sie das Frettchen. »Vergnügen kann man sich hier zwar auch, aber nicht auf so schmutzige Art, wie du jetzt denken magst. Wer Befriedigung sucht, tut es eher auf eine höchst vergeistigte Weise.«
»Wie ist das nun wieder gemeint?«
» Black Sun ist ein Ort, der von Gelehrten aufgesucht wird und von solchen, die sich dafür halten. Auch Künstler und alle möglichen Querdenker findest du hier. Wer anderswo wegen seiner Gedanken oder seinem Verhalten unbequem ist, der kommt hierher.«
Stella blickte einem Mann nach, der alle zehn Schritte stehen blieb und wie ein Hahn krähte. »Was du nicht sagst!«
»Doch. Die Leute treffen sich hier, um in der Schwarzen Sonne miteinander zu reden. Das ganze Gebäude ist gewissermaßen eine riesige Plaudertasche.«
»Du meinst Plauderstätte.«
Um nicht ständig den immer zahlreicher werdenden Passanten ausweichen zu müssen, hüpfte Sesa Mina auf Stellas Schulter. »Meinetwegen auch das. Ist dir vorhin aufgefallen, dass ein Teil der angenagten Pyramide in den verbotenen Bezirk hineinragt?«
Stella nickte.
»Dorthin gelangen nur Auserwählte. Die Klügsten der Klugen oder die Reichsten der Reichen. Das werden wir schon noch rauskriegen.«
»Wir?«, entfuhr es Stella.
»Ich hab mir gerade überlegt, dass wir nirgendwo so viel Neues erfahren können wie an einem Ort, an dem Personen aus allen Regionen Illusions zusammenkommen.«
»Verstehe. Und je erlesener der Teilnehmerkreis, desto exklusiver auch die Nachrichten, die man vielleicht erfährt.«
»Du lernst schnell, Stella. Wir müssten übrigens gleich…«
»Warte mal«, schnitt Stella ihrem Frettchen das Wort ab. Die Straßen ins Zentrum der Stadt waren immer voller geworden. Und gerade eben hatte Stella
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