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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verlassen. Im Gegenteil, es wirkte wie ausgestorben.
    DiCampo hatte vorgeschlagen, sich heimlich in das hausinterne Netzwerk des Unternehmens einzuschleichen. Mit Hilfe des Intruders werde das kein Problem sein, auch ohne Einsatz eines Cybernauten. Den Plan, alle Datenverbindungen von Geneses zu kappen, hatte man verworfen. Dafür gab es zwei Gründe.
    Erstens hatte man den geheimen Zugang des Cyberwurms ausfindig gemacht, über den er in das isolierte MIT-Campusnetz gelangt war – ein weiterer Beweis für die Aussichtslosigkeit jeden Versuchs, ein größeres Areal von der Außenwelt abzuschneiden. Unter den zahllosen Forschungsprojekten der Universität befand sich nämlich auch eine Versuchsanordnung für ein Lasernachrichtensystem. Vom Dach des Ashdown House, unmittelbar an der Harvard Bridge gelegen, sendete diese Anlage quer über den Charles River hinweg direkt zur Spitze des John Hancock Towers in der Bostoner Innenstadt. Hier wurden die Lichtsignale in elektromagnetische Impulse umgeformt und in das Telefonnetz der Stadt eingespeist. Salomon hatte sich über diese Entdeckung nur wenig gewundert, war er ja selbst über einen ähnlichen »Geheimpfad« in das Campusnetz eingedrungen, um den Intruder lahm zu legen.
    Der zweite Grund, weshalb man die Geneses-Kommunikationseinrichtungen nicht antasten wollte, bestand darin, den Cyberwurm – oder wer immer dahinter steckte – so lange wie möglich in Sicherheit zu wiegen. Aufgrund von Stellas Warnungen waren nun alle Beteiligten alarmiert, auch wenn Uneinigkeit darüber herrschte, wie sich die Schöpfer des Wurmes einer Erstürmung ihres Schlupfwinkels gegenüber verhalten würden. Stellas Bericht über den kahlköpfigen Brainar Chorus hatte ihrer Glaubwürdigkeit geschadet. Selbst die Leute aus dem Intruder-Team, allen voran der Projektleiter, wollten in dieser virtuellen Begegnung eher ein Phantasieprodukt sehen als eine reale Bedrohung. Doch wenn Stella sich bereit fände, ein allerletztes Mal mit Hilfe des Intruders in den Cyberspace vorzudringen und von dort aus das Nest des Cyberwurms auszuheben, dann wolle er, Alban C. DiCampo, sich diesem Plan nicht in den Weg stellen.
    Salomon hatte den Vorschlag zunächst mit erneuten Verwünschungen DiCampos abgeschmettert. Als er Stella später von dem Telefonat erzählte, kam es dann zur bereits erwähnten Auseinandersetzung zwischen den beiden. Stella fürchtete sich vor dem, was der Intruder mit ihr anstellte, aber mehr noch grauste ihr vor dem, was Brainar angedeutet hatte.
    Dieses zarte Kind aus dem Wachtraum musste über eine gewaltige Macht verfügen. Zugleich litt es aber an einem ihr nicht begreiflichen Schmerz. Brainar hatte seine bisherigen Taten ein Unrecht genannt, sie aber doch als gering im Vergleich zu dem eingestuft, was er binnen vierundzwanzig Stunden zu tun gedachte, wenn ihn niemand von seiner Qual befreite. Im Voraus hatte er Stella dafür um Vergebung gebeten – als wenn die zurückliegenden Katastrophen nur Streiche eines kleinen Jungen gewesen wären!
    Mit Grausen erinnerte sich Stella an den Stromausfall in London, die Toten in den Krankenhäusern und das Staudammdrama in China… Nein, Brainar durfte den letzten Schritt nicht mehr gehen. Die Zündung der I-Bombe würde in die »Infokalypse« münden, die Vernichtung alles Wissens, das Menschen jemals mit Hilfe von Computern zusammengetragen hatten.
    Auch wenn Salomon sich ihr anfangs widersetzte, gab es doch für Stella keine Wahl: Sie hatte den Schneeball ins Rollen gebracht und nun musste sie auch die gewaltige, daraus entstandene Lawine aufhalten.
    Schließlich geriet Salomons Widerstand ins Wanken. Er kannte seine Tochter gut genug, um zu wissen, wann er gegen ihren Dickkopf nichts mehr ausrichten konnte.
    Stella hatte ihren Vater zuletzt angesehen – traurig, dass es überhaupt zu einem derart heftigen Wortwechsel gekommen war – und gesagt: »Ich verspreche dir, Paps, dass ich aus Illusion zurückkommen werde. Vielleicht ist mein Weg weit, aber glaube mir: Ich lass dich und Viviane nicht allein.«
    Salomon erwiderte ihren Blick. Sein Gesicht war schmerzvoll verzerrt, als er schließlich antwortete: »Auch wenn es mir schwer fällt, Sternchen, aber ich kann deinen Willen nicht übergehen. Wenn du noch einmal nach Illusion musst, werde ich dich nicht aufhalten. Aber wo immer du auch sein magst, vergiss nicht, ich werde für dich kämpfen.«
     
     
    »Gleich setzen wir Sie bei der Kommandoeinheit ab.«
    Die Worte aus dem Kopfhörer

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