Das Netz der Schattenspiele
antwortete, fügte sie kühn entschlossen hinzu: »Ich glaube, Sie können oder Sie wollen mich nicht ernst nehmen. Aber bitte, Sir, vergessen Sie eines nicht: Nur weil ich mit dem Intruder durch den Cyberspace gereist bin, stehen Sie heute hier. Ohne mich wäre die I-Bombe vielleicht längst explodiert. Ich habe meine Gesundheit für diese Sache aufs Spiel gesetzt, zuletzt gegen den Willen meines Vaters. Deshalb lassen Sie mich bitte zuerst versuchen, in dieser gefährlichen Angelegenheit auf meine Weise vorzugehen. Wenn meine Mission fehlschlägt, dann können Sie Ihre Männer immer noch in die Schlacht schicken.«
Unerwartet meldete sich aus Agafs Rücken Alban DiCampo zu Wort. »Ja, General, lassen Sie Stella ihren Job tun. Sie hat uns mehr als einmal überrascht. Vielleicht gelingt ihr das ja heute wieder.«
Für einige Sekunden fochten die Augen Stellas und des Generals einen lautlosen Kampf. Dann stieß Slider die Luft durch die Nase aus, lächelte und nickte ein einziges Mal. »Also gut. Für das, was wir hier vorhaben, ist zwar das Wort ›Schlacht‹ gewaltig übertrieben, aber du bekommst deine Chance.«
Walter Friedman war nicht bester Laune. Das lag weniger an der dramatischen Entwicklung der letzten Tage als vielmehr an dem sonderbaren Verhalten seines Vorgesetzten. Erst hatte DiCampo ihn zum Sicherheitschef des Intruder-Projektteams ernannt und nun behinderte er ihn bei der Arbeit, wo er nur konnte. Er kam sieh vor wie ein vorgeschobener Strohmann, der den Cyberworm-Leuten das Gefühl vermitteln sollte, beim Intruder-Projekt gehe schon alles mit rechten Dingen zu. Aber war das wirklich so?
Nach einer Folge von Demütigungen musste die Ernennung zum Verbindungsmann für General Slider am vergangenen Montagabend zwangsläufig Friedmans Misstrauen wecken. Was hatte DiCampo sich dabei nur gedacht? Seine Begründung klang fadenscheinig: Laut Beschluss der »amerikanischen Regierung« sei ein Einsatz von UN-Einheiten auf dem Territorium der Vereinigten Staaten nicht zu tolerieren. Hier mussten »die Jungs von der Army« ran. Im Leominster State Forest besäße Agaf Nbugu nur Beobachter-, bestenfalls Beraterstatus. Er, Alban Cesare DiCampo persönlich, teile sich das Kommando mit General Slider. Friedman solle den Kontakt zwischen beiden halten.
Komisch, dass der Italiener sich gerade jetzt auf die Qualitäten seines Sicherheitschefs besann. Oder wollte er ihn nur aus dem Weg haben?
Seit geraumer Zeit nun befand sich Stella Kalder wieder in dem Truck mit dem Intruder-Equipment. Friedman wünschte ihr Glück, auch wenn er ihr das nicht hatte persönlich sagen können. Die manchmal etwas kratzbürstige Kleine erinnerte ihn an seine Nichte. Er mochte Stella. Deshalb machte er sich auch Sorgen über das, was er von Mark erfahren hatte. Umgab den Intruder wirklich ein gefährliches Geheimnis?
Ganz allein für sich hatte Friedman einige Nachforschungen angestellt.
Vor gut anderthalb Jahren waren die meisten Intruder-Mitarbeiter ausgetauscht worden, was bei einem wissenschaftlichen Projekt wie diesem einen nicht gerade kleinen Einschnitt darstellte. Aus der Zeit vorher war so gut wie nichts in Erfahrung zu bringen, aber aus etlichen Gesprächen und noch zahlreicheren Andeutungen hatte er sich eine eigene Meinung gebildet: In der Zeit vor dem großen Austausch musste es einen ernsten Zwischenfall gegeben haben. Bemüht, das Projekt zu retten, hatte DiCampo unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einfach ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem an die Wand gemalt und eine neue Mannschaft gefordert. DiCampo war ein Pedant. Irgendwo, so hatte ihm ein Informant verraten, bewahre der Italiener all die Dokumente aus den Anfangstagen des Intruders auf.
Leider war es Friedman bis heute nicht gelungen, dieses Geheimarchiv zu finden.
Auf der Waldlichtung herrschte erwartungsvolle Spannung. Hier und da kontrollierten Soldaten ihre Ausrüstung. Andere unterhielten sich leise. Jeder tat irgendetwas, um die Nervosität zu bekämpfen, die immer vor einem wichtigen und womöglich gefährlichen Einsatz auftrat.
Friedman näherte sich DiCampos mobiler Einsatzzentrale, einem riesigen dunkelblauen Wohnmobil. Mehrere dicke Kabelbäume verbanden den Luxuscamper mit dem benachbarten Truck. DiCampo erhielt nicht nur die Kamerasignale aus der Umgebung, sondern wurde auch immer über Stellas Cyberspace-Reise auf dem Laufenden gehalten. Ja, mehr noch: Er konnte von seinem stillen Kämmerlein aus auch in die Funktionen des Intruders
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