Das Netz der Schattenspiele
Slider bekannt.
»Will leitet die Einheit der Special Forces«, erläuterte der Afrikaner. »Wir kennen uns schon von einem früheren Einsatz her. Er ist wirklich ein besonnener Mann.«
»Danke für das Lob, Agaf«, sagte der General mit tiefer Stimme und einem sympathischen Lächeln. Er mochte um die fünfzig sein, hatte kurz geschnittene blonde Haare und einen Schnurrbart. Sein Tarnanzug war auf Bauchhöhe leicht ausgebeult.
General Slider gab dem Professor und seiner Tochter einen kurzen Abriss der aktuellen Lage. Militärisch knapp und präzise schilderte er dann das Operationsgebiet. Genetic Enterprises liege in einem großzügigen parkartigen Gelände, unmittelbar am Westufer des Paradise Pond. Die Spezialeinheit habe einen lückenlosen Kordon um das Areal gelegt. Über verborgene Kameras werde jede Bewegung innerhalb des gesicherten Gebietes in das Fahrzeug der Einsatzleitung übertragen. Aber noch gebe es keine Aktivitäten. Abgesehen von einem Sicherheitsmann im Pförtnerhaus wirke das Geneses-Gelände wie ausgestorben.
»Wegen Ihres Anrufes gestern Abend haben wir bisher die Erstürmung des Geländes hinausgeschoben«, schloss der General und wandte sich direkt an Salomon. »Sollte Ihre Tochter noch irgendwelche Informationen besitzen, die uns beim Einsatz nützlich sein könnten, dann raus damit. Wir müssen bald losschlagen. Wenn man erst unsere Anwesenheit bemerkt hat, kann sich das Blatt schnell zu unseren Ungunsten wenden. Sobald ich den Befehl gebe, wird der Posten an der Zufahrt durch einen meiner Männer ersetzt und der Geneses-Komplex gestürmt.«
»Das dürfen Sie nicht!«, entfuhr es Stella. Erst jetzt, angesichts der vielen Uniformierten und ihrer Waffen, begann sie die ganze Gefährlichkeit des Einsatzes zu begreifen. Dies war kein Computerspiel, sondern tödlicher Ernst.
Der Einspruch eines Mädchens stieß bei dem kampferprobten General auf einigen Unwillen. Folgerichtig wandte er sich mit der Antwort auch nicht an seine pubertäre Opponentin, sondern direkt an den respektablen – wenn auch gleichfalls etwas jungen – Wissenschaftler. »Bei allem Respekt, Professor Kalder, aber was wir dürfen und was nicht, entscheidet immer noch die Einsatzleitung.«
Salomon versuchte beide Seiten zu beruhigen. Wie der General wohl wisse, habe seine Tochter während ihres letzten Aufenthaltes im Cyberspace eine ernst zu nehmende Warnung erhalten, die ein allzu forsches Vorgehen als unverantwortlich erscheinen lasse. Stella wies er noch einmal auf das schreckliche Ausmaß der Cyberwurmangriffe hin. Wer immer in dem Geneses-Komplex die Fäden ziehe, habe es mehr als verdient, seiner gerechten Strafe zugeführt zu werden.
Stella verstand, ihr Vater suchte zu vermitteln, aber ein unterschwelliges Gefühl sagte ihr, dass auf dem Geneses-Areal ein schreckliches Geheimnis schlummerte. Ein Geheimnis, für dessen Aufklärung die bisherige Strategie des Cyberworm-Teams nicht geeignet war. Sie wagte ihren Verdacht nicht in Worte zu kleiden, zu ungeheuerlich erschien er ihr. So blieben ihr nur vage Andeutungen. Sie erinnerte an DiCampos Bericht über die ersten Cyberterroristen, die Internet Black Tigers. Mit ihrem Terroranschlag im Cyberspace hatten sie auf ihre Ziele aufmerksam machen wollen. Auch kleine Kinder sehnten sich manchmal nach Aufmerksamkeit und seien dann eben ungezogen, um die Beachtung der Erwachsenen zu bekommen. Ein ähnliches Verhalten könne auch den globalen Computerkatastrophen zugrunde liegen.
Nicht nur bei General Slider erntete sie für diese Mutmaßung ein ungläubiges Kopfschütteln. Kindliches Trotzverhalten als Erklärung für einen Beinaheatomkrieg sei vielleicht doch etwas zu weit hergeholt.
Stella dachte an den Jungen aus Illusion. Er litt unsägliche Schmerzen. Um diesen zu entkommen, hatte er sie zu sich gelockt, und aus demselben Grund war er auch bereit Böses zu tun. Du musst allein kommen! Sonst geschieht ein großes Unglück. Sie konnte seine Worte nicht vergessen.
Stella atmete tief durch und meinte dann: »General Slider. Ich kann Ihnen auch nicht genau erklären, welche Gefahr Ihren Männern droht, wenn sie gewaltsam gegen Geneses vorgehen. Aber bitte glauben Sie mir: Es gibt etwas in diesem Komplex, was wir nicht einschätzen können! Möglicherweise hat ja da jemand einige hundert Pfund Sprengstoff im Park vergraben.«
Sie hatte so eindringlich gesprochen, dass selbst der hartgesottene Kämpfer nachdenklich wurde. Er schaute Stella an, und als er nicht gleich
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