Das Netz der Schattenspiele
seines Alters passte dieser Vergleich sehr gut. Nbugu war schon um die fünfzig. Er maß höchstens einen Meter siebzig und war um den Bauch herum schon etwas füllig. Dieser Umstand wurde allerdings durch ein weites, bunt gemustertes Hemd geschickt kaschiert, das erst knapp zehn Zentimeter über den Knien endete. Seine krausen Haare trug Nbugu kurz, ebenso den Vollbart; Stella konnte keine einzige graue Strähne in der ganzen dichten schwarzen Pracht entdecken. Das Gesicht des Nigerianers war mit zahlreichen Pockennarben überzogen, aber das tat seinem gutmütigen Äußeren keinen Abbruch. Dazu trugen vor allem seine großen schwarzen Augen bei, die vor jugendlicher Neugierde funkelten. Er schien der Typ Mensch zu sein, der alles in sich aufsog, sorgfältig abwog und erst dann eine vernünftige Entscheidung traf.
Nachdem Nbugu jedem einzelnen Teammitglied die Gelegenheit gegeben hatte, sich vorzustellen und dabei kurz den persönlichen Werdegang zu schildern, übergab er das Wort an Stellas Vater.
»Vielen Dank«, begann dieser, zaghafter als er seine Vorlesungen sonst eröffnete. Er zog seine Brille aus der Brusttasche des Sporthemdes und setzte sie auf. »Ich bin gebeten worden, Ihnen heute etwas über meine Forschungstätigkeit zu berichten, gewissermaßen als Einstieg in die gemeinsame Arbeit. Sie werden schnell bemerken, dass sich aus meiner Theorie einige Gesetzmäßigkeiten ableiten lassen, die der aktuelle Fall – leider, muss ich sagen – zu bestätigen scheint.« Der Professor gewann allmählich Sicherheit in seiner neuen Rolle als UN-Dozent. Er drückte eine Taste an seiner funkgesteuerten Fernbedienung, die ihm als Mausersatz für das Notebook diente. Sogleich erschien an der Wand hinter ihm ein mehrfarbiges Bild mit einer Zeitachse, die vom Jahr 1900 bis 2999 reichte und über der sich mehrere Textblasen befanden. Salomon begann das Diagramm zu kommentieren.
»Das zwanzigste Jahrhundert gilt allgemein als das Atomzeitalter. Es hat den Menschen A-, B-, und C-Waffen gebracht. Das einundzwanzigste Jahrhundert dürfte als das Zeitalter der Informationstechnologie in die Annalen der Menschheit eingehen. Kaum eine Entscheidung wird heute noch gefällt, welche nicht auf Informationen aus riesigen Datenbeständen basiert. Dieses Faktum lässt eine neuartige Form der Bedrohung, den Einsatz einer ultimativen Waffe denkbar erscheinen: Ich habe sie die I-Bombe genannt.«
Ein Raunen ging durch den Raum. Salomon war von seinen Vorlesungen ganz andere Geräuschpegel gewohnt und fuhr nach einer kurzen rhetorischen Pause fort: »Atombomben vernichten, wie Sie alle wissen, nicht nur Menschenleben, sondern auch Häuser und Fabriken. Biologische Waffen tilgen organisches Leben aus. Bestimmte chemische Kampfstoffe können sogar allen Sauerstoff unseres Planeten zerstören. Die zunehmende Bedeutung der Elektronik zeigte sich dann in der Entwicklung der E-Bombe. Diese ist imstande, explosionsinduzierte elektromagnetische Impulse von hoher Energie zu erzeugen und dadurch praktisch alle elektronischen Geräte in einem weiten Umkreis zu zerstören. Mit ihr wurde zum ersten Mal eine Waffe geschaffen, die gezielt zur Vernichtung von Computern und, wenn man so will, von Informationen eingesetzt werden kann. Dennoch besitzt die E-Bombe Schwächen: Sie muss ins Zielgebiet transportiert und dort zur Explosion gebracht werden. Das ist teuer, hat nur räumlich begrenzte Wirkung, erfordert eine aufwendige militärische Logistik und hinterlässt auffällige Spuren.
Die neueste Gefahr, die den hochindustrialisierten Nationen droht, ist dagegen universell. Informationsbomben kann man weder anfassen noch hören – sie bestehen nur aus Software. Und dennoch sind sie in mancher Hinsicht erheblich heimtückischer als konventionelle Sprengmittel. I-Bomben können im Prinzip alle mit Hilfe von Computern erzeugten und gespeicherten Informationen unserer Welt zerstören.«
Wieder schwoll das Gemurmel im Raum an. Salomon machte nun den Anwesenden klar, dass ein Hacker schon mit einem einfachen PC und einem Modem einen größeren Schaden anrichten könne als früher eine ganze Armee. Er verwies dabei auf eine Studie der President’s Commission on Critical Infrastructure Protection. Im Jahr 2002, so die Vorhersage dieses vom amerikanischen Präsidenten eingesetzten Ausschusses, besäßen nicht weniger als neunzehn Millionen Menschen das nötige Hintergrundwissen zur Ausführung einer Cyber-Attacke. Man stelle sich eine Neunzehnmillionenstadt
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